Northzone: In gleich fünf Locations Zuhause

Der Spagat


Filmszene aus Behind Blue Skies von Hannes Holm - Northzone 2012

Filmszene aus Behind Blue Skies von Hannes Holm - Northzone 2012

Der Anti-Thriller

Der eigentliche Höhepunkt von Northzone folgte am Freitag mit Hannes Holms Film „Behind Blue Skies„, der als Film schafft das umzusetzen, was deutsches Kino seit wenigstens zehn Jahren versucht und daran immer und grundsätzlich scheitert. Im Sommer 1975 beschließt Martin (toll gespielt von Bill Skarsgård) seinem tristen, kleinbürgerlichen Elternhaus und seinem alkoholkranken Vater wenigstens für einige Wochen zu entkommen, in dem er in einer Clubhotelanlage jobbt. Das klingt zunächst bieder und ein bisschen langweilig. In der ersten halben Stunde erinnert das an Hans-Christian Schmids „Crazy“ – und als Zuschauer verknautscht sich einem das Gesicht. Aus dieser biederen Exposition heraus gewinnt Holms Werk aber an Klasse und Fahrt.

Nach einer Feier fliegt Martin bei der Alkoholkontrolle auf und muss die Koffer packen. Eingeknickt steht er bereits am Bootssteg, als der Hotelmanager auf ihn zukommt und fragt ob er ihm nicht helfen könnte. Martin müsse nur ein Päckchen gegen einen Umschlag eintauschen. Martin macht es und wird bezahlt. Unnötig zu erwähnen dass das Päckchen mit Kokain gefüllt ist und ebenso unnötig scheint es darauf hinzuweisen, dass der Hotelmanager (Peter Dalle) ein Drogendealer ist, doch bei Martin macht es nicht Klick. Sei es pure Naivität oder die Sehnsucht nach einer starken Vaterfigur – Martin macht’s und steigt innerhalb kürzester Zeit zu einem Mittelsmann auf, der Vertrauen und Verantwortung genießt. Nun sind Geschichten um Drogenkuriere wirklich nichts Neues. Neu ist hier die Motivation des Kuriers, denn diese bleibt stets nivelliert und verändert sich teilweise von Einstellung zu Einstellung. Mal ist es die Gewissheit, endlich mal Kohle haben und nicht immer nur das arme Schwein zu sein, mal ist es die Geborgenheit, die Martin bitter nötig hat, mal ist es der spielerische Trieb. Jedoch bleibt er stets menschlich. Die Kaltblütigkeit, die seine Leinwandkollegen an den Tag legen, fehlt Martin. Er bleibt in einem Geschäft sensibel, das kleinste Verstöße drakonisch ahndet. Obwohl er schneller erwachsen wird, als ihm wohl lieb ist, verkommt er dabei nicht. Sein moralischer Kompass bleibt intakt. Mehr als einmal fragt sich der Zuschauer, ob das ein Zeichen für Dummheit oder wirkliche Größe ist, aber in seiner Erzählweise ist „Behind Blue Skies“ wirklich einmalig: Kriminelle, die nicht nur auf ihre Schablone reduziert werden, Schauspieler, die Kriminelle als Menschen und nicht als Fressen und Visagen spielen und eine Kameraführung die so trügerisch leicht daherkommt. Vielleicht hat Hannes Holm mit seinem Film ein neues Subgenre aufgetan, den Anti-Thriller.

Skandinavische Popkultur ist komplex. Oft haben die Musiker und Filmemacher nur gemeinsam, dass sie zufällig in diesen Ländern geboren wurden. Seit The Spotnicks in den frühen 1960ern ihren Durchbruch hatten, gehört nordeuropäische Musik jedoch zum Standard eines jeden Musikinteressierten. Die gängigste Theorie über den Erfolg skandinavischer Interpreten besagt, dass die kommunalen Musikschulen, in denen Kinder gegen eine geringe Gebühr verschiedene Instrumente erlernen können, für eine frühe Wissensbasis sorgen und das Interesse an Musik wecken. Außerdem sprechen sie im Schnitt sehr gut Englisch. Soweit zur Musik.

Beim Stichwort Film denken die meisten Menschen sofort an Ingmar Bergman. Aber eine neue Generation von Filmemachern ist im Begriff das zu ändern. Schweden beispielsweise konnte für sich seit der Jahrtausendwende bereits drei Oscar-Nominierungen in der Kategorie Bester nicht-englischsprachiger Film“ verbuchen. Mit den 1970er und 1980er Jahren traten Frauen im Filmgeschäft nicht mehr ausschließlich als Schauspielerinnen in Erscheinung. Mai Zetterling begann in den 1960er Jahren Regie zu führen. Damit war sie wegbereitend für eine wachsende Zahl junger Filmemacherinnen, die sich künstlerisch und politisch ausdrücken wollten. So ist der skandinavische Film inhaltsfixiert und beeindruckt im Schnitt weniger durch seine Bilder, als durch seine schauspielerische Leistung und Themenwahl. In einem Festival extrovertierte, (zu) leicht zugängliche Musik mit introvertierten Filmen zu kombinieren, ist obwohl beide Standbeine aus der gleichen Region kommen, ein gewagtes Unterfangen und obwohl die Einzelveranstaltungen sehenswert waren, kam bei Northzone nicht das Gefühl eines Festivals auf. Vielleicht sollten es beim nächsten Mal einige Locations weniger sein.

Joris Januar


Bilder vom Northzone-Opening von (c) Jekaterina Petrova!

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