Rückblick auf den II. Musik-Film-Marathon

Helmas Kompendium


Gozaran – Time Passing“ fängt die Stimmung vor der Grünen Revolution ein und die Ernüchterung danach. Nader Mahayekhis kehrt zurück nach Wien, leidet unter buchstäblichem Liebeskummer ob seines Scheiterns, magert ab und holt schließlich einige seiner iranischen Musiker nach Deutschland, um sie in einer Kirche spielen zu lassen. Die anschließende Diskussion ist warm und herzlich – ohne Zweifel vereint der Eröffnungsabend etwas, das als exemplarisch für das gesamte Festival gelten darf: Themen, aufgearbeitet aus einer Perspektive fernab des Üblichen oder, wie in den kommenden Tagen, schon längst dem Zeitgeist entwichen sind. Zu fast jeder Vorführung sind Regisseure und Beteiligte anwesend, die Gespräche sind interessiert und wohlwollend, das Publikum ist klein, aber engagiert und zu Unterhaltungen mit einem Glas Wein auf dem Gropius-Bau-Portal zwischen klassizistischen Säulen gewillt.

Ganz anders und doch nicht minder berührend fällt die Hommage an Werner Schroeter in Form des Films „Abfallprodukte der Liebe – Poussières d‘ amour“ (Werner Schroeter, D/F 1996) aus. Über zwei Stunden erstrecken sich die intimen Aufnahmen verschiedenster Opernsänger, die, versammelt in einer französischen Abtei des 13. Jahrhunderts, in kammerspielartigen Collagen große Arien aufführen und ausschnittartig in kleinen Dialogen über die Liebe versinken. Ohne dramatischen Höhepunkt, entfaltet „Abfallprodukte der Liebe – Poussières d‘ amour“ einen sonderbaren Sog, der, ohne dass man es direkt spüren würde, eine leise und kraftvolle Besitznahme mit dem Zuschauenden vollführt. Mit spürbarem Nachhall endet auch „Anaparastasis: Life and Work of Jani Christou (1926-1970)“ (Costis Zouliatis, GR 2012). Die dichte Arbeit, die sich über fast zehn Jahre des erst dreißigjährigen Zouliatis erstreckt hat, rührt Helma Schleif nach der Vorführung so sehr, dass ein paar Tränen fließen. Was hier sentimental klingt, zerschlägt sich spätestens, wenn man im privaten Gespräch in kleiner Runde über das Schaffen Christous debattiert und der Aspekt „Diese Musik verursacht in mir fast terrorartige Zustände“ von der Festivalleiterin mit den Worten „Ist doch großartig, manchmal muss das so sein.“, beschwingt zurückgewiesen wird.

Durchaus beschwingt geht es auch am Klaus Beyer-Abend zu. Unter dem Dach „Outsider Artists – Art Brut Musik“ führt Freund und Manager Beyers Frank Behnke in das Schaffen des „fünften Beatle“ ein. Das ist irgendwie rührend und innerlich wehrt man sich gegen solch ein Gefühl, kommt jedoch nicht ganz umhin diesem Kerlchen, das an eine Kreuzung zwischen Udo Lindenberg und Moritz von Uslar auf Tranquilizer erinnert, in seiner sympathischen Drolligkeit zu verfallen.

Gefühle des Staunens verursacht ebenso Oskar Sala, dem der Musik-Film-Marathon gleich mehrere Abende gewidmet hat. In „Oskar Sala. Ein Alchemist der elektronischen Musik“ (Theo Janßen, BRD 1988) sieht man Sala auf dem Weg in sein Studio mit der U-Bahn fahren. Er hält sich die Ohren zu, wenn es beginnt in den Kurven zu quietschen und verzieht sein Gesicht. Mit ungeordneten Geräuschen kann der Komponist und Instrumentenbauer nicht viel anfangen. Zu ungewohnten Klängen auf seinem Trautonium lässt er sich hingegen gern hirnreißen. Immerhin sind auf jenem Instrument die schauerlichen Vogelschreie aus Hitchcocks „The Birds“ (1963) entstanden, ebenso wie der Soundtrack zu einigen Experimental- und Industriefilmen des legendären Filmemachers Hugo Niebeling (hier: „Stahl – Thema mit Variationen„; BRD 1960), „Mit Licht schreiben„; BRD 1967). Dieser wiederum ist tatsächlich anwesend, unterhält das Publikum mit kauzigem Gelächter, verweigert das Mikrofon und referiert eine Anekdote nach der nächsten. Der Mann ist über achtzig Jahre alt, wie es auch Sala gewesen wäre, der 2002 verstarb.

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