Rückblick auf den II. Musik-Film-Marathon

Helmas Kompendium


Videosequenzen sucht man im allgemeinen Datensalat in den meisten Fällen vergeblich. Weder die großartigen Industriefilme Niebelings oder Reitzs (zu sehen waren: „Kommunikation – Technik der Verständigung„; BRD 1961), „Geschwindigkeit – Kino eins„; BRD 1962), „Baumwolle„; BRD 1959/60) oder DIY-Filme Beyers sind irgendwo aufzuspüren. So geschieht es fast mit jedem Programmpunkt, der nach einer unabhängigen audio-visuellen Recherche verlangt. Aber es spricht auch für den Musik-Film-Marathon, der es immerhin für vierzehn Tage vermochte, ein halbwegs verschüttetes Wissen in einen Kinosaal zu transportieren.

Verschüttetes Wissen, Stichwort nicht nur für die ausgewählten Filme Helma Schleifs, sondern auch für die von Wolfgang Seidel, der sich der archäologischen Aufarbeitung elektronischer Pionierleistung verschrieben hat. Und so eröffnet Seidel sein Spezialgebiet mit einem anlogen Gast – einem museumstauglichen Synthesizer, der direkt ein paar Laute zum Besten gibt. Anschließend wird den Zuschauern ein Blick in die EMS (Electronic Musik Studio) der BBC und ihren Protagonisten gewährt. In „What the Future Sounded Like“ (Matthew Bate, AUS 2006) sind gartenhäuschengroße Soundmaschinen zu sehen, mit denen einfache Samples die unfassbare Rechenleistung von 8000 Zeichen zu sprengen vermochten. „The Alchemists of Sound“ (Roger Pomphrey, GB 2003) verfolgt hingen den Radiophonic Workshop der BBC und porträtiert eine Reihe junger Musiker, die sich an den neuen Möglichkeiten der Erschaffung elektronischer Musik versuchen – und nebenbei den legendenumwoben „Doctor Who“-Titeltrack komponieren.

Besondere Formen der Komposition speisen auch die beiden Filme „Helicopter String Quartet“ (Frank Scheffer, NL/D 1995) und „Die Rache der toten Indianer“ (Henning Lohner, D 1993). Ersterer begleitet Karlheinz Stockhausen (in durchgängig weißer, leicht exzentrischer Western-Elvis-Künstler-Uniformierung) im Inszenierungsprozess seines Helicopter String Quartets und lässt auf die ein oder andere schrullige Großartigkeit schließen. „Die Rache der toten Indianer“ nähert sich dem musikalischen Revolutionär John Cage auf gänzlich andere Weise: Mithilfe kleiner Interviews (Heiner Müller, Yoko Ono, Frank Zappa) kreiert Lohner ein vielschichtiges Portrait, lässt Müller Zigarre rauchend über US-amerikanische Sumpfgebiete  philosophieren und schneidet immer wieder kleine Sequenzen modernen Alltagssounds dazwischen.

Den Abschlussabend widmet das Festival Irmin Schmidt. Zum ersten Mal in diesen zwei Wochen ist der Saal wirklich voll, bevölkert von Männern, die soeben aus dem popkulturellen Quintett des Hotel Adlon anno 1999 entsprungen sein könnten. Irgendwo springt Justus Köhncke umher. „Ein großer graublauer Vogel“ (Thomas Schamoni, BRD 1969/70) – letzter Programmpunkt, auflockernd und komisch, wie ein kühles Bier nach Unmengen Henri Bardouin. Berlin mitsamt Martin-Gropius-Bau ertrinkt in Regenwasser, Irmin Schmidt im anschließenden Werkstattgespräch mit Heiner Mühlenbrock glücklicherweise nicht. Gemeinsam arbeiten sich Interviewpaar und Zuschauer durch das filmmusikalische Schaffen des Can-Keyboarders. Helma Schleif setzt nach zwei Stunden die Zäsur. Klar, wer sonst sollte das Festival beenden? Mitten im Gespräch, einfach so?

Die Schlussworte des diesjährigen Musik-Film-Marathons berichten vom Fördergeldantrag für das kommende Jahr, der soeben gestellt wurde. Man weiß nicht, ob es weitergehen wird. Wer hat das schon in der Hand? Nader Mashayekhi resümiert in Scheffers Film „Wir müssen weiter, einfach weiter.“ Und so sieht es auch Helma Schleif. Die Zuschauer haben den Kinosaal noch nicht verlassen und die Festivalmacherin schleppt schon das Equipment aus dem Gebäude.

Carolin Weidner

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