Rückblick auf filmPOLSKA 2012

Der lange Schatten der Altmeister


Filmszene: "Sekret" von Przemyslaw Wojciezek, Foto: filmPolska

Filmszene: "Sekret" von Przemyslaw Wojciezek, Foto: filmPolska

Exzentrische Drag-Queen

Selbst eine Teilnahme bei der Berlinale hilft kaum beim Sprung ins reguläre Kinoprogramm. Nur der Panorama-Eröffnungsfilm „Das bessere Leben„, in dem eine großartig aufgelegte Juliette Binoche als „Elles“-Journalistin Anne zwei junge Studentinnen aufspürt, die ihren Lebensunterhalt als Prostituierte bestreiten, war in den Programmkinos zu sehen. Regisseurin Magolska Szumowska („33 Szenen aus dem Leben„, 2008) lässt ihre Zuschauer durch die Augen Annes blicken. Diese neugierige, bürgerliche Frau erkundet eine ihr vollkommen fremde Welt in Gesprächen mit den klugen und bezaubernden Studentinnen Charlotte (Anaïs Demoustier) und Alicja (Joanna Kulig), die sich durch ihren Job das, dem Film den Titel leihende, bessere Leben ermöglichen. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen, aber eben auch selbstbestimmt. Ein Film der irritiert und Denkanstöße liefert, was Prostitution angeht.

Eine geistige Frische verlangt auch „Das Geheimnis“ („Sekret„) von Przemyslaw Wojciezek. Kornel Miglus, der Programmkurator des Festivals, beschreibt den eigens zu filmPOLSKA angereisten Gast als „ungeduldigen Regisseur, der nur ungern auf genehmigte Anträge wartet“, was ihn zum „Outsider des polnischen Kinos“ macht. Mit seinen Werken ist er Stammgast bei Filmfestivals. Es ist sein Name, den der als „Kino-King-Knut“ Elstermann (von Radio Eins) verehrte Moderator auf dem Podium als potentiellen Kandidaten nennt, als er fragt, ob „der Autor als Marke verschwunden“ sei? Es scheint so. Noch immer ist keiner der Regisseure aus dem Schatten der großen Drei getreten.

Radoslaw Drabik, der beim Festival Nowe Horyzonty im polnischen Breslau arbeitet und sich als Co-Produzent um den Verleih von „Das Geheimnis“ bemüht, gesteht, dass der Film „keine polnischen Zuschauer findet.“ Ein Prophet, der im eigenen Land nichts wert ist? In 82 teils rasanten, teils epischen Minuten nähern sich Wojciezeks Zuschauer der Aufklärung des Geheimnisses. Er konzentriert sich auf seine drei Hauptdarsteller und deren sich verändernde Beziehung zu einander. Bindeglied des Dreiecks ist die exzentrische Drag-Queen Ksawery, die ihrer jüdischen Freundin Karolina bei ihrer Spurensuche nach der eigenen Vergangenheit hilft. Diese führt die beiden zu Jan, Ksawerys Großvater, der rüstig und von seinen Nachbarn geachtet, ein recht abgeschiedenes Leben im Nirgendwo führt, in dem ihn nur Ksawery ab und an besucht. Jeder Schritt dem schrecklichen Geheimnis entgegen, verändert das Verhältnis der drei Akteure, was ständig neue Expositionen schafft und vom Zuschauer eine Neuinterpretation des Gesehenen verlangt. Ein, wenn auch sperriges, Meisterwerk, das den Autorenfilmer Wojciezek (u.a. „Made in Polland„, 2010) zum Hoffnungsträger für das polnische Kino macht.

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