Rückblick auf filmPOLSKA 2012

Der lange Schatten der Altmeister


Filmszene: "Suicide Room" von Jan Komasa

Filmszene: "Suicide Room" von Jan Komasa

Junge Filme für ein junges Publikum

Derer finden sich einige in den filmPOLSKA-Tagen in den sechs über Berlin und Potsdam verteilten Spielstätten des Festivals. So erzählt „Ich heiße Ki“ von Leszek Dawid eine Episode aus dem Leben der jungen Kinga (gespielt von Roma Gasiorowska, von der man noch viel Hören wird!), die alle kurz Ki nennen. Sie ist Mutter des zweijährigen Pio und taumelt durch ihr Leben, das sie überfordert. Mit dem Kindsvater zerstritten, landet die Studentin in der WG einer Freundin, wo Ki das bisher respektvolle miteinander in ein Chaos verwandelt. Zu sehr noch selbst Kind, um Verantwortung zu übernehmen, versucht die einnehmende Ki, an ihren Aufgaben zu wachsen, steht sich aber selbst im Wege. Ebenso mitreißend wie „Suicide Room“ von Jan Komasa. Der zeigt in seinem teilweise Second-Life-ähnlich animierten Drama das Internet als gefährlichen Fluch und gleichzeitig letzte Zufluchtsstätte für Dominik.

Kurz vor dem Abitur knutscht er, den seine erfolgreichen Eltern schon lange aus den Augen verloren haben, auf einer Party mit einem Klassenkameraden. Noch während er seine sexuelle Identität hinterfragt, veröffentlichen Mitschüler ein Video vom Kuss im Netz. Dominik verkriecht sich in seinem Zimmer, sieht sich in einer Spirale gefangen, die ihn zum vermeintlich einzigen, erlösenden Ausweg, dem Selbstmord, zwingt. Im Web findet er Gleichgesinnte in einem Chat-Room – dem Suicide Room. Dort fühlt sich der Teenager verstanden. Nicht so von seinen Eltern oder den Psychologen, die zu ihm vordringen sollen. Komasas Werk hat Potential zum Kultfilm. Einem perfekt geeichten Kompass folgend, fühlt er mit den Nöten seines Protagonisten mit, beobachtet ihn, urteilt aber nicht. Musik, Ästhetik und Hauptdarsteller Jakub Gierszal verzücken.

Auch Marion Döring von der European Film Academy denkt während der Diskussion um den polnischen Film sofort an „Suicide Room„, wenn sie den Machern aus dem Nachbarland auf den Weg gibt: „Junge Regisseure sollten Filme für ein junges Publikum machen.“ Publikum jeden Alters, möchte man ergänzen. Ein anderer Weg für das polnische Kino, den filmPOLSKA auch aufzeigte, sollte nicht vergessen werden: Die beklemmende, dänisch-niederländische Produktion „Code Blue“ (mit Lars Eidinger) der polnischen Regisseurin Urszula Antoniak, steht für all diejenigen Filmschaffenden, die es aus Polen wegzog – die, die internationalen Produktionen einen deutlichen polnischen Stempel aufdrücken.

Dank solcher Werke sollte es doch möglich sein die Kernfrage des Festivals, ob denn nun der deutsche Zuschauer den polnischen Film braucht, statt mit einem „ja, aber“, dem Grundtenor der verschiedenen Podiumsvertreter, mit einem deutlichen „Ja!“ zu beantworten. Und zwar nicht nur für ein deutsches, sondern gar ein internationales Publikum, das für wichtige Themen zu begeistern sein sollte, wenn diese so cineastisch wertvoll aufbereitet werden. Der polnische Arthouse-Film lebt. Diesen Beweis tritt filmPOLSKA eindrucksvoll an. Selbst ein schwacher Beitrag, wie der stumpfe, brutale, von seinen limitierten Darstellern unsägliche umgesetzte „The Christening“ fällt bei der Gesamtbetrachtung weniger schwer ins Gewicht, weiß er doch immerhin mit gelungener Kameraarbeit und kühler Ästhetik zu punkten.

Denis Demmerle, Judith Orland

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