Rückblick auf die erste Ausgabe des „Korean Cinema Today“

Festivalbericht 2012: Die Geduld der Koreaner


Erst kürzlich restauriert: "Hanyo" ("The Housemaid") von Kim Ki-Yeong aus dem Jahr 1960

Erst kürzlich restauriert: "Hanyo" ("The Housemaid") von Kim Ki-Yeong aus dem Jahr 1960

Der Wechsel manifestiert das Erdrückende und lässt den Zuschauer desillusioniert zurück. Gerechtigkeit scheint wohl ein Rosenblütentraum zu bleiben. Bedeutend europäischer wurde es einige Tage später mit den zwei Versionen von „The Housemaid„. Während das 1960er Original von Kim Ki-young geschickt die Genres wechselt, um im Verlauf von einer sentimentalen Schmonzette zu einer fassbinderischen Farce zu mutieren, und schließlich in einem sehr charmanten Abschlussmonolog mündet, verweilt Im Sang-soos 2010er Version cineastisch in französischen Gefilden – und mit wie viel Genuss hier das Hausekel den Rotwein schlürft. Jedenfalls erwiesen sich beide Filme als ausgesprochen sehenswert, wobei der jüngere von beiden ein fabelhaftes Sittenportrait und der ältere einen vergnüglichen Genremix anbietet. Es wurde herzhaft gelacht und es ist schön, dass schwarzer Humor wohl kulturübergreifend gut funktioniert.

Zum Ende des Festivals wurde es noch einmal ernst. Yoon Sung-Hyuns „Bleak Night“ erzählt die Geschichte einer Jungenfreundschaft in der Plattenbauwüste Südkoreas. Gi-Tae, Dong-Yoon und Hee-Joon sind Sandkastenfreunde. Nichts scheint sie auseinander zu bringen, doch auf einmal begeht Gi-Tae Selbstmord. Der stets abwesende Vater beginnt nun die Hintergründe des Freitodes zu recherchieren und deckt langsam den wahren Charakter seines Sohnes auf. Auch in diesem Film vergeht die Zeit nur langsam. Sequenz um Sequenz reiht sich eine Alltagsbanalität an die andere. Erst mit der Zeit und ohne dass es auch nur in einem einzigen Schlüsselsatz kulminiert, wird das persönliche Verhältnis der drei Freunde aufgezeigt. Gi-Tae ist gezeichnet durch einen Verlust der Ich- und Außenwelt umfassenden Einheit, einer primären Identifizierung. Das einzige Objekt, was ihm den Zugang zur Realität sichert, ist ein Baseball. Ansonsten ist er komplett empathiefrei, ja soziopathisch. Mehr als einmal schießt er im Umgang mit seinen Freunden weit über das Ziel hinaus und leistet sich einen geschmacklosen, sadistischen Scherz nach dem anderen. Er macht es nur nicht aus Böswilligkeit, sondern greift auf Verhaltensmuster zurück, die als Kleinkind gut funktionierten und auf einmal so völlig unangebracht sind. Während Dong-Yoon psychisch normal bleibt und Hee-Joon zum Eigenbrötler mutiert, bemerkt Gi-Tae nur seine eigene Überflüssigkeit. Nachdem Gi-Tae (vermutlich aus Angst seinen besten Freund zu verlieren) Dong-Yoons Freundin fast in den Selbstmord treibt, bricht dieser mit seinem eigenen Freund und es kommt was kommen muss.

Die große Stärke von „Bleak Night“ liegt darin, einen Selbstmörder realistisch zu portraitieren. Während das anglizistische Kino die Gestalt des Selbstmörders stets als weich, konturlos und too good for this world zeichnet, wagt Yoon Sung-Hyun das genaue Gegenteil. Gi-Tae ist ein Schlüsselkind und Kotzbrocken wie er im Buche steht. Er kann mit seiner Umwelt beinahe ausschließlich nur durch Gewalttaten interagieren. Jeder würde mit ihm brechen, früher oder später. Auch dieses Mal wird die Geduld des Zuschauers mit einer starken Abschlussszene entlohnt. Damit sind wir bei der Identität des koreanischen Kinos angekommen und um die drei bedeutendsten ostasiatischen Kulturkreise noch einmal mit wenigen Worten zu verdichten: Was dem Japaner der Stolz und dem Chinesen die Tradition bedeutet, das bedeutet dem Koreaner die Geduld. Selbstredend gilt auch hier, dass die subjektive Bedingtheit unserer Wahrnehmung nicht identisch mit dem unerkennbar Wahrgenommenen ist.

Joris J.

RANDNOTIZ

Beim youtube-Channel des Korean Film Archive wurden 70 Filme hochgeladen, die man dort kostenfrei und legal anschauen kann: www.youtube.com/koreanfilm

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