Waiting for Raoul – Ein Rückblick auf das 65. Filmfestival von Cannes


Mehr oder minder misslungen ist leider auch der neue Film von Michel Gondry („Eternal Sunshine of the Spotless Mind„, „Be Kid Rewind„, „The Green Hornet„). „The We and the I“ spielt beinahe zur Gänze in einem Schulbus in New York und es ist nicht allein aufgrund der gefühlten acht Stunden, die sich dieses Gefährt durch Brooklyn bewegt, dass man sich irgendwann wünscht, Sandra Bullock und Keeanu Reeves mögen doch den Bus kapern und dem verbalen und physischen Schlagabtausch zwischen den Kids endlich mal etwas Speed verpassen. Dafür mussten es andere richten und erledigten das mit Bravour. Und bezeichnenderweise waren es ausschließlich europäische Autorenfilmer, die in Cannes Erfolge feiern konnten. Ken Loach beispielsweise mit seinem Film „The Angels‘ Share„, der gut und gerne das Zeug dazu hat, auch in den Kinos einiges zu bewegen. Oder Thomas Vinterberg, der mit „Jagten“  („The Hunt„) nach dem Berlinale-Tiefpunkt „Submarino“ ein sensationelles Comeback feierte. Auch Jacques Audiard und Matteo Garrone überzeugten mit ihren Beiträgen „De rouille et d’os“ bzw. „Reality„.

Überragend auf ihre je eigene Weise waren aber vor allem drei Filme, von denen bezeichnenderweise zwei aus Österreich kamen, was wieder einmal den Verdacht nährt, dass die besten deutschen Filme derzeit von unserem südlichen Nachbarn kommen: Ulrich Seidls „Paradies: Liebe„, der Anfang 2013 in die Kinos kommt, schildert mit viel Lust an der Überzeichnung und fotografisch präzisen Bildern die Reise einer Frau in das Mekka des weiblichen Sextourismus nach Kenia – wie stets bei Seidl wirkt das beinahe so, als habe jemand die Karikaturen eines Manfred Deix in einen Film übersetzt und sei dabei im tiefsten Inneren immer noch ein erbarmungsloser Moralist geblieben. Moralismus ist ja auch etwas, das man Michael Haneke immer wieder nachsagt, sein neuer Film „Liebe„, der dann schlussendlich die Goldene Palme gewann, offenbarte aber eine ganz neue und ungewohnte Seite des Regisseurs. In einem Kammerspiel voller Zärtlichkeit und Wärme schildert er die letzte Zeit eines Paares, das dem nahenden Tod und dem eigenen Zerfall nichts als Liebe und Respekt entgegenzusetzen hat.

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