Rückblick auf das 9. Indische Filmfestival Stuttgart
Tabubruch und Plastikelefanten
Laut Micha X. Peled war es dann auch durchaus im Sinne des Filmprojektes, herauszufinden, ob sich Ram Krishna nach der misslungenen Ernte das Leben nimmt. Dieser im Grunde makabre Ansatz ist oft schmerzlich deutlich und nur dadurch abgemildert, dass Peled eine weitere Protagonistin auserkoren hat – die Schülerin Manjusha, deren Vater sich durch das Trinken von Pestiziden das Leben nahm. Manjusha möchte Journalistin werden, um den Selbstmorden ein Ende zu machen. Die wohl eindrücklichsten Sequenzen des Films zeigen Manjusha beim Interviewen der Dorfgemeinschaft, die ihr mit Aufrichtigkeit und Offenheit begegnet, ihr die Sorgen offenbart. Micha X. Peleds Film ist Teil seiner „Globalization Trilogy“, die mit den Konsumenten begann („Store Wars: When Wal-Mart Comes to Town„), sich mit der Rolle der Hersteller befasste („China Blue„) und nun konsequent mit den Produzenten der Rohstoffe in „Bitter Seeds“ beendet wird.
Die Konzentration auf die Hauptfiguren sowie die Beharrlichkeit, mit der dem Thema nachgegangen wird, zeichnen „Bitter Seeds“ aus – sie unterscheiden ihn aber auch von weniger geglückten Dokumentationsfilmen wie „The Bengali Detective“ (Indien/UK/USA 2011), der sich thematisch übernimmt. Das kurzweilige Werk beleuchtet den Arbeitsalltag der Privatdetektei „Always“ in Kalkutta. Dabei stehen drei Fälle im Vordergrund: Shampoofälscherei, ein Mordfall mit drei Todesopfern und mehrfacher Ehebruch. Als Ausgleich zum anstrengenden Detektivalltag übt das Team abends für die Teilnahme an der indischen Tanzshow „Dance Bangla Dance“. Das ist viel für einen 90-Minüter und das Produktionsteam hat gut daran getan, mit dem Detektiv Rajesh Ji eine Figur in den Mittelpunkt zu stellen, die die Fäden zusammenhält. Wenn da nur seine eigene, tragische Lebensgeschichte nicht wäre. Rajeshs Frau Minnie hat Diabetes und erblindet langsam. Das fortschreitende Erstarken der Krankheit rückt zunehmend in den Fokus von „Bengali Detectives“ und so erfährt der Zuschauer mehr über die Lebens – und Leidensgeschichte des Privatdetektivs als über die praktische Arbeit seines Teams, ihre Motivation und berufliche Qualifikation. Was bleibt ist ein unrunder, wenngleich unterhaltsamer Film.
Die Mannigfaltigkeit des indischen Films wurde wohl nirgends deutlicher als im Kurzfilmprogramm: Neben vereinzelten experimentellen Shorts wie „Place of Landing“ (Shambhavi Kaul, USA, 2011) wurden viele fiktive Kurzfilme und Doku-Shorts gezeigt. Besonders beeindruckte „Shor“ (Neeraj Ghaywan, Indien, 2011), der die Geschichte der Näherin Meena erzählt, die mit ihrem Verdienst die Familie ernährt. Obwohl sie sich die Rolle als Alleinernährerin nicht ausgesucht hat, gerät sie mit ihrem arbeitslosen Mann in Konflikt, da ihre Berufstätigkeit mit traditionellen Gendermustern bricht. Die scheinbar unüberbrückbaren Differenzen der beiden werden am Schluss durch eine schicksalhafte Fügung zumindest zeitweise überwunden – typisch für viele der indischen Kurzfilme, die gern in einer positiven Auflösung münden.
Der Bulle kackt. Keine zwei Handbreit vor dem Gesicht des Rennfahrers fallen die Exkremente zu Boden. Der Rennfahrer verzieht das Gesicht nicht, er greift die Seile und die Stange fester, mit der er den Bullen gleich zum Sieg prügeln wird. Hannes Gieselers Kurz-Dokumentarfilm „A Fistful of Rupies“ (Deutschland/Indien 2011) ist eine Momentaufnahme exotischer Normalität oder normaler Exotik, wie man sie sich beim Indischen Filmfestival erwartet. Hier prallen das eigene Erlebnisumfeld und der europäisch konditionierte Blick auf Hunde – oder Pferderennen auf das jahrhundertealte Bullenrennen im indischen Bundesstaates Maharastra. Mitten im staubigen Nichts werden Rennbahnen in den Sand gemalt; ein Rennfahrer, auf einem kleinen Kart oder Sitzbrett hockend treibt die Bullen an. Nicht für eine Handvoll Dollar, wie die Referenz an Eastwood es will, sondern für ein paar Rupien, begleitet von enthusiastischen Schreien, Zurufen und Flüchen. Das ist vielleicht eine komplett andere Welt, die wir da sehen, aber das bewusst gewählte Schwarz-weiß und der zeremonielle Wahnsinn, der ein jedes Wettrennen begleitet, verweisen auf die Gemeinsamkeiten zwischen den Kulturkreisen.