Rückblick auf das 1. Israel Filmfestival Berlin

Einblick in die Widersprüche



Eine ganz andere Perspektive auf das Militär wirft die Dokumenation von Adi Barash und Ruthie Shatz in „The Collaborator and his Family“ aus dem Jahr 2010. 20 Jahre lang versorgte Ibrahim den isrealischen Geheimdienst mit Informationen. Als er entlarvt wird, flieht er aus Angst um sein Leben mit seiner Familie nach Tel Aviv und wartet seitdem vergeblich auf seine Aufenhaltsgenehmigung, die ihm für einen solchen Fall von seinem Kontaktoffizier versprochen wurde. Ein sehr intimes Portrait einer Familie, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird. Gleichzeitig zeigt sie auf erschreckende Weise die Armut im Süden Tel Avivs. Neben dem Militär spielt Religion eine zentrale Rolle in Israel. Auch wenn es der Titel nicht vermuten lässt, handelt Natalie Brauns Dokumentarfilm „The Hangman“ (2010) von Religion.

Über 40 Jahre lang war es ein Staatsgeheimnis, wer Eichmann gehäng hat. Doch vor einigen Jahren veröffentlichte der Mossad Dokumente dazu. Als Natalie Braun darin laß, daß der ehemalige Henker, Schalom Nagar, mittlerweile ein ritueller Schlachter geworden ist, war ihr Filmemacherin sofort klar, dass es hier eine Geschichte zu erzählen gibt. Sie selbst stammt aus einer religiösen Familie. Im anschließenden Gespräch sagte Natalie Braun: „Für mich symbolisiert Shaloms Auslegung und Ansichten in Bezug auf das Judentum das Humanistische darin. Ein Aspekt, der derzeit oft verloren gegangen ist.“ Shalom, der lange in Hebron gelebt hat, ist im Anschluß an das Masaker, das Baruch Golstein 1994 in Hebron an Moslems verübt hat, weggezogen. Für ihn war klar, dass er als zutiefst religiöser Mensch dort nicht mehr hingehört. Ein spannender Film über die Seele des Menschen und alternative Perspektiven.

Musikliebhaber kamen bei „I saw Giraffes in India“ (2010) auf ihre Kosten. Die Band Giraffot mit dem charismatischen Leadsänger Gilad Kahana fährt 2008, kurz nach den Terroranschlägen in Mumbai, auf ihre seit zwei Jahren geplanten Tournee nach Indien. Entstanden ist ein unterhaltsames Roadmovie, das mit einem Konzert in Goa – dem Mekka der Israelis – seinen Höhenpunkt findet.

Für Yair Hochner spielt Berlin eine große Rolle, seitdem er das Pornfilmfestival hier kennengelernt und es nach Tel Aviv geholt hat. Er pendelt zwischen beiden Städten und ist der eigentliche Initiator des ersten Isrealischen Filmfests. In der lebhaften Diskussion darüber, warum Berlin gerade für Israelis so attraktiv ist, steht für Yair Hochner fest: „Israel lebt ständig in der Vergangenheit, während Berlin viel freier und zukunftsgewandter ist.“ Dagegen erlebt Ariel Efraim Ashbel, der mit einer Performance beim Festival vertreten war, Berlin gar nicht als so frei und sieht sich eher als Künstler, der letztendlich dahin geht, wo die Arbeit ist. Für seine Performance-Partnerin Liad Hussein Kantorowicz, Anti-Besetzungsaktivisten und Sex-Arbeiterin, spielt vor allem die Tatsache, dass Berlin für Künstler noch erschwinglich ist eine Rolle.

„Es gibt noch staatliche Kulturförderung, sogar für subersive, alternative Kulturprojekte und das ist toll. Das fehlt in Israel total“. Regisseur Lior Shamriz, der mittlerweile sechs Jahre in Berlin wohnt und von dem drei Filme beim Festival gezeigt wurden, tut sich schwer mit der Fragestellung und den Kategorien. Ihn interessieren vielmehr der größere Zusammenhang und die gegenwärtigen, gesellschaftlichen Umwälzungen. So vielfältig wie die Meinungen der Diskussionen, waren die gezeigten Filme und Formate im Festival. Das erste isrealische Filmfest vermittelte einen guten Einblick in die Widersprüche der israelischen Gesellschaft, die ein Großteil ihrer Kreativen an Berlin verliert. Man darf gespannt sein auf die Fortsetzung.

Judith Orland

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