Interview mit “Kaptn Oskar”-Regisseur Tom Lass

Die Suche nach Bildern in der Stadt


Der Blick in den täglichen Strom. Er ist bei Oskar (Tom Lass) erst einmal unerfreulich. Seine Wohnung ist ausgebrannt, mit tatkräftiger Unterstützung seiner Ex (Martina Schöne-Radunski). Jetzt nennt er ein Kellerloch sein Heim. Dann trifft er Masha (Amelie Kiefer). Sie ist aufgeschlossen. Ehrlich. Redselig und an inniger Freundschaft interessiert. Oskar aber lehnt die Abmachung mit ihr, keinen Sex zu haben, zunehmend ab. Irgendwo dazwischen schwirrt die Ex. Ein Triangel entsteht. Eine Möbiusschleife, die Oskar nicht zerschneiden mag. Tom Lass ist auch in seinem neuen Spielfilm „Kaptn Oskar“ (hier unsere ausführliche Kritik) auf der Suche nach Verbundenheit, nach Entscheidungskraft und Sex und erkundet nicht selten amüsiert die Ziellosigkeit seiner Protagonisten. Mit dem jungen Regisseur, dessen Film beim achtung berlin Festival im Wettbewerb läuft, haben wir uns über Improvisation und Ideenfindung, Urheberschaft, Selbstausbeutung und das Filmemachen im No-Budget-Bereich unterhalten.

Am Ende eines Filmes, im Abspann, werden noch einmal alle Mitwirkenden mehr oder weniger prominent aufgeführt. Bei Deinem Film sticht ein Wort hervor. Was ist ein Schnittpublikum?
Das sind alles Menschen, die mich während des Schnittprozesses besucht haben, um den Film zu gucken, in welchem Stadium der da auch immer war. Durch den langen Prozess des Schneidens und da im Schnitt mit dem Film immer sehr viel passiert, habe ich ab und an ein frisches Auge gebraucht. Einen Blick von Außen, jemanden, der das Material noch nicht auswendig kennt. Gern auch Leute, die nichts mit Film zu tun haben. Das hat mir sehr geholfen, ohne, hätte ich meine letzten Filme nicht schneiden können. Bei „Kaptn Oskar“ wollte ich diesen Leuten so noch einmal Dank sagen.

Gibt es bei Dir Hierarchien am Filmset?
Beim Filmdreh gibt es keine Marionetten, die du als Regisseur rumschieben kannst, wie du es willst. Egal ob ein Drehbuch existiert oder nicht. Beim Drehbuch ist zwar alles festgelegter, weil dort steht, was in der Szene passieren soll. Wie Schauspieler das dann umsetzen, ist noch etwas anderes. Beim Film ist man aber eben nie allen. Film ist Kollaboration.

Die wird aber anders betont, wenn man improvisiert.
Absolut. Man ist noch abhängiger von den Menschen, mit denen man arbeitet.

Dein Film ist also ein Werk aller Beteiligten?
Ja. Der Regiebegriff, der schon beim Drehbuchfilm schwierig ist, ist beim Improfilm noch schwieriger einzugrenzen. Es ist am Ende schwer, nachzuvollziehen, von wem welche Idee stammt. Das ist etwas, mit dem ich mich gerade sehr intensiv auseinandersetze. Was ist der Ursprung einer Idee? Wer hatte sie? Das ist heute oft eine alberne Diskussion.

Du meinst das Urheberrecht?
Ja.

Urheberrecht ist nicht gleichzusetzen mit Urheberschaft – letztere betrifft nicht nur die Vergütung von Leistung. Was macht den Autor zum Autor? Welche Bedeutung hat der Autor für den Text? Das sind in der Philosophie und der Literaturwissenschaft sehr alte Fragestellungen.
Es gibt da ein sehr schönes Zitat von Mark Twain. „When a great orator makes a great speech you are listening to ten centuries and ten thousand men…“ Es steht in einem Brief, den er an seine Bekannte Helen Keller geschrieben hat. Twain erklärt darin eindrücklich, dass im Grunde alles, was geschrieben wurde, ein Plagiat ist. Um überhaupt etwas zu sagen, muss man eine Sprache sprechen. Die hat auch nicht jeder einzelne erfunden. Genauso brauchte es Tausende, um die Dampfmaschine zu entwickeln. Aber dann gibt es diesen Einen, der den letzten, wichtigen Schritt macht. Aber ob ich nun als Autor, Regisseur oder Schauspieler eine Inspiration in einem Moment habe, oder diese nicht vielleicht schon vor zehn Jahren als kleines Kind im Blumengarten hatte, das erwähne ich im Werk ja nicht. Vielleicht weiß ich auch gar nicht um sie. Dann aber zu sagen: Das war nur mein Gehirn – das ist überhaupt keine Diskussion wert. Weil es offensichtlich nicht stimmt. Das Urheberrecht ist für mich dagegen dann eine Diskussion wert, wenn es darum geht, den Künstler angemessen zu entlohnen. Da ist sie angebracht und entsprechend kompliziert. Das Urheberrecht wird heute aber sehr konservativ ausgelegt. Damit kann ich mich wenig anfreunden.

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