Regisseur Olivier Assayas im Interview zu “Die wilde Zeit”

Filme sollten Fragen stellen



Sie investieren große Mühen in den Look der Zeit und den Zeitgeists…
Jeder Filmemacher muss seinen eigenen Look, seine eigene Persönlichkeit entwickeln. Mit dem Film sage ich, dass ich in den 1970er-Jahren aufgewachsen bin. Die 70er waren durch Fragen geprägt, die zurückdatieren auf die 20er-Jahre dieses Jahrhunderts. Eine Diskussion, die zwischen Avantgarde und sozialem Realismus geführt wurde. In den 70ern wurden ästhetische Diskussionen aufgegriffen, die bis heute noch nicht vollständig geklärt sind.

Im Film zeigen Sie, wie die 70er recht strikt zwischen idealistischen und kommerziellen Filmemachern unterschieden.
Die Sprache der Zeit war sehr abstrakt. Im Kontext ihrer Zeit, war sie aber unheimlich wichtig. In den 70ern gab es keine 100 Fernsehkanäle oder DVDs und Internet. Eine Art alternativer Kommunikationskanal konnte nur durch Filmemacher entstehen, die eben die Arbeit in Fabriken filmten, die die Kämpfe der Arbeiter und all das, was historisch relevantes zu dieser Zeit passierte, filmten. Ihre Sprache war sehr dogmatisch, was auch daran lag, dass es niemand außer ihnen machte. Genau aus dieser Position heraus, wegen dieser sehr dogmatischen Zeit, musstest du dich entscheiden. Das eine schloss das andere aus. Wer für Agitprop und die Kämpfe der Zeit stand, konnte keine Fiktion drehen.

Hat Ihr sehr junger Cast diese politisch-historischen Zusammenhänge verstanden?
Nicht wirklich, obwohl sie ziemlich smart sind und ihr Ding machen wollen. Wahrscheinlich empfinden sie sich als radikal. Eine Szene im Film, in der in der Druckerei diskutiert wird, was in der nächsten Ausgabe ihrer radikalen Zeitung stehen soll, drehte ich mit heutigen, jungen französischen Aktivisten. Sie sollten die Dialektik der Politik der 1970er verstehen, was mich nahe an die Verdummung trieb – und das, obwohl sie so clever sind. Diese Generation hat die Geschichte der Demokratisierung vergessen.

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