Nico Sommer über seinen Film „Silvi“

"Ich nenne das Snowballfunding"


Nico Sommer

Nico Sommer

Der neue Spielfilm „Silvi“ (zur Filmkritik) von Regisseur Nico Sommer feierte in diesem Jahr auf der Berlinale in der Sektion Perspektive Deutsches Kino seine Premiere. Sommer erzählt darin die Geschichte der 47-jährigen Silvi, die nach der Trennung von ihrem Ehemann ein neues Leben finden muss. Wir haben uns mit dem Regisseur über Trennungsschmerz, Neuanfang und seine Herangehensweise an das Medium Film unterhalten.

In „Silvi“ steht eben diese, eine Mittvierzigerin, vor den Scherben ihrer Ehe. Ihr Mann verlässt sie von einem Tag auf den anderen. Er fasst seinen Entschluss mit den Worten „Ich kenne jede Falte an dir. Das ist doch ein Alptraum!“ zusammen. Fragt man Paare und Eheleute, was ihnen wichtig an einer Beziehung ist, nimmt das „Sich-Kennen“ einen zentralen Stellenwert ein. Was muss passieren, damit aus Vertrautheit Langeweile wird?
Die Recherche zu dem Film hat ergeben, dass das kein Einzelschicksal ist. Viele Frauen können davon Lieder singen. Woran ganz explizit Ehen scheitern, kann man, glaube ich, nicht festmachen. Es sind vielmehr verschiedenste Gründe, die miteinander korrelieren und eine Pauschalisierung wäre hier unangebracht. Dennoch spielen die „Geheimnisse“ in einer Ehe eine besondere Rolle. Die Paare, die es schaffen, diese offen zu legen, haben vielleicht größere Chancen ein Paar zu bleiben. Die Langeweile setzt ja dann ein, wenn „nichts mehr passiert“ (Filmzitat). Beide sind also dazu aufgefordert, für die Partnerschaft zu arbeiten. Eine lange Liebe ist wohl eher Arbeit als Vergnügen.

Bei Silvi fragt man sich, welcher Generation sie angehört. Die 70er Jahre und die sexuelle Revolution propagierten die Selbstfindung und die Entdeckung der eigenen Bedürfnisse. Warum ist das Ende von Silvis Ehe auch ein persönliches Scheitern und ein Ende ihrer Hoffnungen und Wünsche?
Das stimmt nur zum Teil, würde ich sagen. Ja, die Trennung ist ein persönliches Scheitern. Das fühlt sich zumindest für Silvi so an. Eine einseitige Trennung tut sehr weh und da liegt innerer Schmerz in der Natur der Sache. Doch meistens trägt nie nur einer allein die Schuld – dazu gehören immer zwei. Silvi bemerkt, dass das, was sie erlebt hat in ihrer ersten und einzigen Liebe ihres Lebens, nicht alles gewesen sein kann. Sie holt gewissermaßen etwas nach, was sie in ihrer Ehe nicht probiert oder gefühlt hat. Da sind also eindeutig noch Hoffnungen, Sehnsüchte und Wünsche vorhanden. Nur leider gerät sie immer wieder an die falschen Jungs.

Ihre Selbstfindung findet auf vielen Ebenen statt und Sex spielt dabei eine große Rolle. Während sie unbeholfen auf die Avancen von Männern reagiert, scheinen diese klare Vorstellungen von dem zu haben, was sie wollen. Sind das für Sie typische Rollenmuster unserer Zeit?
Das hat nichts mit Rollenmustern zu tun. Das ist die wahre Begebenheit hinter dem Film. Alles was man auf der Leinwand sieht, ist so tatsächlich passiert. Da sind mir Rollenmuster egal. Die Vergangenheit, die Ehe und die mangelnde Erfahrung von Silvi spielt hierbei allerdings eine Rolle: Sie stürzt sich ja förmlich in neue „Abenteuer“ und verliert dann den klaren Blick für die Realität. Vielleicht zieht sie auch besonders egoistische Männer an. Vielleicht ist es aber auch so wie Thomas an ihrem Esstisch sagt: „Manche Frauen wollen vielleicht schlecht behandelt werden.“ Silvi probiert sich eben aus. Andere Frauen müssen dies vielleicht nicht mehr tun und bringen Männern bei, wie man sie anzufassen hat.

Ihr Film ist umschrieben mit dem Satz: „Ein Film nach einer wahren Begebenheit.“ Man fragt sich also automatisch: Was ist echt? Und was ist Kunst?
Ja, das ist richtig. Ein Film nach einer wahren Begebenheit. Der Film ist Kunst. Das Drehbuch ist Kunst. Die Ereignisse im Film jedoch sind der „echten“ Silvi tatsächlich so passiert. Die Dialoge sind teilweise aus den Erinnerungen dieser Frau übernommen. Viele andere Textstellen sind frei improvisiert. Aber ich sage Ihnen was an dem Film auf jeden Fall echt ist: Das Emotionale, die Sehnsucht und die innere Leere. Das sind Gefühle, die die „echte“ Silvi zu Tränen gerührt hat, als sie den Film das erste Mal gesehen hat.

Sie spielen mit den Mitteln des Spielfilms, arbeiten mit den Interview-Szenen aber auch Dokumentarisches ein. Welche Auswirkungen hat diese Vermischung auf Ihr Erzählen?
Ich benutze dieses Stilmittel ja nicht zum ersten Mal. Bereits bei „Stiller Frühling“ habe ich sehr gute Erfahrung damit sammeln können. Für mich stellt sich eine unvermittelte Nähe her, die im Idealfall Empathie erzeugt und authentisch wirkt. Zum anderen bleibt der Zuschauer wach, weil er gezwungen ist, sich Fragen zu stellen. In welchem Medium, Raum und  Zeitgefüge bewegen wir uns? Das war gerade bei diesem Stoff für mich sehr wichtig. Der Nachteil ist vielleicht, dass ich den einen oder anderen Zuschauer verprelle, weil dieser keinen Dokumentarfilm mag oder ihm das alles zu „echt“ ist.

1 2