Eindrücke vom 67. Festival del Film Locarno

Filmkunst bei Gelato und Aperol Spritz


Benno Fürmann in " "Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss" von Florian Mischa Böder. Foto: 67. Festival del Film Locarno

Benno Fürmann in „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss“ von Florian Mischa Böder. Foto: 67. Festival del Film Locarno

Film-Aficionados aus aller Welt tummeln sich an diesen wechselweise sonnig-schwülen und regnerisch-feuchten Augusttagen am Ufer des Lago Maggiore, wo eines der ältesten europäischen Filmfestivals zum 67. Mal stattfindet. Im malerischen Locarno, wohin jährlich Filmfans und andere Reisende pilgern, lässt es sich gut leben. Am besten mit einem Gelato oder Aperol Spritz auf der Piazza Grande vor der gigantischen Open Air Leinwand, die jeden Abend bis zu 8.000 Zuschauer anlockt.

Die Piazza Grande, das Herzstück des Festivals, kann leider aber auch dieses Jahr nicht mit der restlichen Qualität des Programms mithalten. Neben Luc Bessons US-Kassenschlager „Lucy“ wurden auch kleinere Filme gezeigt, wie letzten Freitag „Love Island“ von Jasmila Zbanic, die 2006 für „Grbavica“ den Goldenen Bär der Berlinale gewann und der deutsche Beitrag „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss“ von Florian Mischa Bröder. Zbanics knallig bunte Dreiecksgeschichte im kroatischen All Inclusive Resort um die hübsche und nicht zu ihrem Vorteil besetzte Französin Ariane Labed, ihren bosnischen Ehemann Grebo (Emin Bravo) und ihrer lesbischen Freundin Flora (Ada Condeescu) wird wohl auch das Piazza Publikum nicht überwältigt haben, das an viel härterem Stoff gewohnt ist, wie die Verleihung des „Prix du Public“ 2012 an Cate Shortlands ernsthaften und sensiblen „Lore“ (2012, D/UK/AU) bewies.

Weiterlesen: Unser Interview „Der menschliche Instinkt sträubt sich gegen den Hass mit Cate Shortland zu „Lore„.

Erst „Die Einsamkeit des Killers vor dem Schuss“ hob die Stimmung letzten Freitagabend deutlich. Florian Mischa Böder inszeniert seine Action-Komödie in eleganten dunklen Farbtönen und mit rabenschwarzem Humor. Benno Fürmann verleiht der Rolle des unterbeschäftigten EU-Killers Koralnik ein wandelbares Gesicht zwischen germanischer Seriosität und komischer Mine. Konfrontiert mit Rosa (Mavie Hörbiger) und ihren blonden Zöpfen, die ihn für ein Organspende-Programm in Afrika anwirbt, entwickelt sich ein genüssliches Techtelmechtel. Festivaldirektor Carlo Chatrian kündigte beide Filme als repräsentativ für das neue Europa an. Mag sein, dass internationale Liebesbeziehungen und ein von der EU beauftragter Killer auf Sinnsuche, unsere Zeit mit einem Hauch Ironie widerspiegeln, doch erweisen sich die Freitagsfilme vor allem als unbefriedigende Unterhaltung.

Bessere Aussichten auf den Publikumspreis hat zweifellos der französische „Marie Heurtin“ von Jean-Pierre Améris mit der reizenden Isabelle Carré, die die Nonnentracht überzieht, um sich der schwierigen Erziehung eines taubstummen und blinden Mädchens anzunehmen. Die auf einer wahren Begebenheit basierende Verfilmung von Marie Heurtins titelgebendem Leben regt zum Nachdenken über die eigenen Sinneswahrnehmungen an. Was wäre, wenn wir nicht sehen, hören und folglich nicht sprechen könnten? Die kleine verwilderte Marie fristet ein trauriges Dasein in der Einsamkeit einer nicht kommunizierbaren Welt, in der sie einzig durch Berührungen mit anderen in Kontakt treten kann. Dank Schwester Marguerites beharrlichen Bemühungen gelingt es Marie schließlich, ihr erstes Wort – „Messer“ – in Zeichensprache auszudrücken und das Unmögliche scheint vollbracht. Améris, der zum dritten Mal mit Isabelle Carré zusammenarbeitet, zeigt erneut ein Gespür für berührende Geschichten (wie z.B. „Les Emotifs Anonymes„), denen auch ein konventioneller Erzählstil nicht schadet.

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