Interview mit Jean-Pierre und Luc Dardenne zu „Zwei Tage, eine Nacht“

Wir leben in einer Zeit, in der die Leute Angst haben



War es wichtig, ihr mit Fabrizio Rongione, der ihren Mann Manu spielt, einen Partner an die Seite zu stellen, der mit ihrer Arbeitsweise nach fünf Zusammenarbeiten bestens vertraut ist?
Luc Dardenne:
Das beruht auf Gegenseitigkeit, die beiden haben sich unterstützt, das war nicht einseitig. Sie haben ja auch zusammen gespielt. Man hilft sich. Wir haben eine Woche nur mit Fabrizio und Marion geprobt. Das Wichtigste in dieser Woche war, die richtige Distanz zwischen deren Körpern zu finden. Manu ist jemand, der immer seiner Frau hilft, der sie unterstützt, wieder hoch zu kommen. Er darf ihr dabei aber nicht zu nahe treten, da sie das infantilisieren würde. Es muss eine Mischung aus Nähe und Distanz gefunden werden. Da hat sich Fabrizio stark eingebracht, damit diese Körperlichkeit funktioniert und um so seinen Platz im Film zu finden..

Solidarität, wie Sie sie hier zwischen Ihren Hauptdarstellern beschreiben, ist das große Thema von „Zwei Tage, eine Nacht“. Gibt es die noch zwischen Kollegen oder überhaupt in der Gesellschaft?
Jean-Pierre Dardenne:
Eine große Frage. Wir leben in einer Zeit, in der die Leute Angst haben. Ob die Angst nun berechtigt ist oder nicht. Jede Angst ist auch irrational. Fakt ist, dass wir uns in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden und es für viele auch keine Alternativen mehr gibt. Denen wird suggeriert, dass sie sich zurückziehen und auf sich selbst konzentrieren, ihre eigenen Interessen vertreten sollen. Es stimmt, dass Solidarität ein Wert ist, der momentan nicht gerade gefördert und propagiert wird. Es gab in der Geschichte schon Momente, die diesem ähnlich waren und jetzt erleben wir wieder einen solchen.

Wenn man das weiter denkt, wohin führt das?
Luc Dardenne:
Ich glaube, wir sind nicht dafür geschaffen, alleine und isoliert zu sein. Das Problem, das Sandra hat, ist, dass sie nicht nur Solidarität einfordert, sie fordert, dass man sie unterstützt. Das ist etwas Existentielles. Arbeitslose verlieren nicht nur ihren Job, sondern auch den Kontakt zu ihrer Umwelt, auch wenn sie die Familie auffängt. Diese Isolation nimmt in der Gesellschaft einen immer größeren Raum ein. Durch Konkurrenz und Rivalität, die zurzeit auch gefördert werden, wird einem immer wieder klar: Du bist ganz allein, du musst gegen die anderen kämpfen. Das ist ein Zustand, der auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten ist. Es wird eine Gegenbewegung geben.

Würden Sie sich als Humanisten bezeichnen?
Luc Dardenne:
Ja, auf jeden Fall!
Jean-Pierre Dardenne: Auch wenn man eine Weile gesagt hat, das sei zu einfach. Es ist die einzige Position, die man haben kann. Man kann Humanist sein und dabei Realist bleiben. Darauf kommt es an.

Die Fragen stellte Denis Demmerle.

Zwei Tage, eine Nacht“ („Deux jours, une nuit„) von Jean-Pierre und Luc Dardenne läuft seit 30. Oktober 2014 bundesweit in den Kinos.

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