Interview mit Toby Ashraf zum neuen Berlin Art Film Festival

"Eine Kampfansage gegen Förderung und finanzielle Abhängigkeiten."



Im Programm findet sich Highlights, wie die Weltpremiere des Films „The Coat“ des in Berlin lebenden französischen Künstlers Christophe Chemin und die Deutschland-Premiere von Sabine Lidl Dokumentarfilm „Nan Goldin – I Remember Your Face„. Wenn dich ein Besucher nach einem Werk fragt, das er auf keinen Fall verpassen darf, was empfiehlst du ihm?
Ich empfehle den Kauf eines Festival-Passes, den man im Fsk Kino für 70 Euro erwerben kann und damit alle 14 Programme sehen und sogar noch umsonst zur großen Party am 6. Dezember kommen kann. Aber ernsthaft: Wer wenig Zeit hat und nur das Neueste sehen will, für den sind die beiden von Ihnen genannten Filme genau richtig. Zudem präsentiert Tatjana Turanskyj zum ersten Mal ihren witzigen Kurzfilm „I am a dancer„. Auf „The Coat“ bin ich persönlich natürlich extrem gespannt, da der Film erst am Tag seiner Premiere fertig werden wird. Es handelt sich um einen Neuschnitt des Materials, das 2009 für das Jack Smith Festival unter dem Namen „Seeking Me You Sat Exhausted“ gedreht wurde. Seit vier Wochen arbeiten wir Tag und Nacht daran – ich selbst bin als Produzent mit an Bord gesprungen, nicht zuletzt um Brian Claflin, der in diesem Jahr gestorben ist und eine der Hauptrollen spielt, eine letzte Ehre zu erweisen. Wir haben 14 Stunden Material neu importiert, neu geschnitten und vertonen den Film zudem vollkommen neu mit fantastischen extra für den Film geschriebenen Monologen von Travis Jeppesen. Eine Kamikaze-Aktion, die uns allen viel abverlangt aber auch unglaubliche Energien freisetzt.
Aber zurück zur Frage: Um Neuigkeiten geht es bei diesem Festival ja eher am Rande. Besonderheiten sind die Filme der Berliner Schule, die wir auf 35mm zeigen oder aber auch das Susanne Sachsse-Programm mit zwei Filmen von Bruce LaBruce und einem von ihr selbst. Das Kurzfilmprogramm ist ein spannender Ritt durch das neue wilde Berliner Kino. Und dann gibt es da ja noch unser Porno-Screening Freitag um Mitternacht, bei dem wir die Dialoge in Ermangelung an Untertiteln live einlesen. „bONKING bERLIN bASTARDS“ ist überhaupt einer der ungewöhnlichsten und witzigsten Pornos, die ich je gesehen habe. Angesiedelt in der schwulen Punkszene und mit Profis und Laien besetzt, vögeln, fisten und blasen die Typen über den Dächern der Stadt, auf den alten Yorck-Brücken oder mitten auf der Karl-Marx-Allee. Irgendwann kommen dann auch noch stadtbekannte Transen mit ins Spiel… Zum Screening gibt es Vodka für alle.

Ihr erwartet reichlich Gäste. Neben etablierten Größen wie Thomas Arslan und Angela Schanelec haben sich Vertreter des jungen deutschen Films zu ihren Werken angekündigt. Was eint die Generationen?
Ihre Kompromisslosigkeit, ihr Mut und ihre künstlerische Vision. Keiner der Filme macht Eingeständnisse an den Markt, alle FilmemacherInnen sind für mich in erster Hinsicht KünstlerInnen, das kann man beim Deutschen Film nun wirklich nicht von Vielen sagen. Alle Filme sind auf die eine oder andere Weise radikal – in der Länge (wer verleiht schon mittellange Filme?), in der Form, im politischen Anspruch oder im Budget. Lior Shamriz hat seinen Film „Saturn Returns“ zum Beispiel für 2000 Euro gedreht. Obwohl Deutschland für mich kein Land der Cinephilen ist, schaffen es diese „Generationen“ wie sie sagen, ein Kino zum Leben zu erwecken, das das Publikum herausfordert, Wagnisse eingeht und sich traut anders zu sein. Anders zu sein bedeutet immer auch am Rand zu stehen und von außen auf den Mainstream zu gucken. Auf die eine oder andere Art sind also alle Filme Outsider in Bezug auf die deutsche Filmlandschaft – und Outsider waren schon immer interessanter und spannender als der Rest – man muss nur länger nach ihnen suchen.

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