BFF On The Road: Zu Besuch auf der 72. La Biennale Di Venezia

Der Blog zu den 2015er Filmfestspielen von Venedig


Tag 2 + 3: Im Rampenlicht mit Johnny Depp und Mark Ruffalo

Es sind wie immer die außer Konkurrenz laufenden Filme, die die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Fans und die Presse sorgen hin und wieder für eine einigermaßen hysterische Festivalatmosphäre. Die Einen, weil sie sich zum Teil schon um 5:30 Uhr morgens an den Ufern der Kanäle einrichten, um Kreisch- und Selfiebereit zu sein, wenn die Füße ihrer Idole den Lidoboden küssen. Die Anderen, weil sie sich in ihrer Vorberichterstattung bereits marketingträchtig auf manchen Film fokussieren oder auf ihren mitgebrachten Fotografen-3-Stufenleitern Zeter und Mordio schreien, damit der oder die fürs Blatt Auserwählte nur ein paar Sekunden in die „richtige“ Kamerarichtung schaut. So war es gestern und heute kaum zu überhören als Mark Ruffalo und Johnny Depp auf der Festivalinsel eintrafen. Ruffalo brachte neben Stanley Tucci und Regisseur Tom McCarthy den Film „Spotlight“ mit nach Venedig, der die Geschichte des Boston Globe „Spotlight“ Teams erzählt, das 2002 den über viele Jahrzehnte andauernden, systematischen Missbrauch Minderjähriger durch die katholische Kirche in der Bostoner Community ans Tageslicht brachte. Nur kurze Zeit nach 9/11.

Klassisch erzählt, in chronologischer Reihenfolge der Ereignisse und mit dem Fokus auf die Reporter gerichtet, die sich Stück für Stück näher an die menschlichen Abgründe graben, legt Tom McCarthy langsam und allmählich die ganze Dimension des Skandals frei. Schockierender als die Entdeckung selbst, war für die Journalisten wohl die Tatsache, wie mächtig die Kirche tatsächlich vor Ort war, und selbst Anwälte, Polizei, Gerichte und Verwaltungen viele Jahre zum Schweigen bringen konnte. „Wenn es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen, dann braucht es auch ein ganzes Dorf, um es zu missbrauchen.“, sagt Opferanwalt Mitchell Garabedian im Film. 60 Artikel gingen insgesamt aus den Recherchen hervor und für die Aufdeckung dieses dunklen Kapitels gewann die Lokalzeitung Boston Globe schließlich den Pulitzer Preis.
In der Presskonferenz (Interviews im Zweikanalton) untermauerten Regisseur und Drehbuchautor Tom McCarthy und Mark Ruffalo dann schließlich noch einmal den unschätzbaren, aber heute viel zu oft unterschätzten Wert von echtem Journalismus, im Gegensatz zu dem Agenturmeldungs-Journalismus, der seine einzige und wichtigste Funktion vergessen zu haben scheint, die der Aufklärung.
„Spitzenjournalismus ist eine sehr stark reduzierte Industrie heutzutage. Und ich bin nicht sicher, ob die allgemeine Öffentlichkeit überhaupt verstanden hat, in welch verhängnisvoller Lage wir uns befinden und wie wichtig für unsere Demokratien eine starke und freie Presse ist. Die lokale Presse ist schon soweit reduziert, dass sich heute kaum noch einer um die weltweit zunehmenden lokalen Korruptionsfälle kümmert, weil einfach niemand vor Ort ist, der sie im Auge behält.“ (Tom McCarthy)

Johnny Depp wäre es allem Anschein nach, oft sehr viel lieber, nicht immer in den Vordergrund gestellt zu werden. Aber er erträgt es und antwortet in der Pressekonferenz auf absurdeste Groupie-Fragen aufdringlichster und distanzloser Journalisten, die sich an seinem Glamour die Flügel wärmen und auf Kuschelkurs mit ihrem Idol gehen wollen. Doch Depp ist eigentlich am Lido, um eine schwarze Messe zu feiern, die Weltpremiere von Scott Coopers „Black Mass„. Im Film spielt Depp den zwischen den 70er und 90er Jahren in Boston aktiven Gangsterboss James „Whitey“ Bulger, der 2011, nach etlichen Jahren auf der Flucht, endlich gefasst wurde und nur zwei Jahre später, wegen Geldwäsche, Erpressung, Drogenhandels und 19 Morden zu zweimal lebenslanger Haft und fünf Jahren verurteilt wurde. Durch seinen alten Schulfreund John Connolly, der sich im FBI mit der Festsetzung des Mafia-Clans Patriarca einen Namen verschaffen wollte, wurde James J. Bulger eine zeitlang zum FBI-Informanten, der allerdings kaum brauchbare Informationen lieferte, sondern seinerseits die Beziehung ausnutzte. Coopers („Crazy Heart„) Inszenierung erinnert an die Mafiaklassiker aus den 80ern und 90ern. Depp schultert mit einer beeindruckenden Performance den kompletten Film.
Make-up-Artist Joel Harlow verwandelt den Schauspieler in eine abstoßende Figur mit großporiger, trockener Haut, einem grauen Glatzenansatz, Goldzahn und einem eiskalten, hypnotischen Blick, der dem einer Schlange gleicht. Die Kostümbildner schaffen den Rest aus Ledermantel, Rollkragenpullover, Polyesterhose mit Schlag und Porno-Sonnenbrille. Depp spielt den ehemaligen Kopf der sogenannten Winter Hill Gang, der im Übrigen schon für Scorsess „Departed – Unter Feinden“ als Vorlage diente, mit versteinerter Miene und tiefgekühlter Brillianz. Ein souverän erzählter Film mit herausragender Performance des gesamten Casts, zu dem u.a. auch Benedict Cumberbatch, Joel Edgerton und Kevin Bacon zählten.

SuT

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