BFF On The Road: Zu Besuch auf der 72. La Biennale Di Venezia

Der Blog zu den 2015er Filmfestspielen von Venedig


Tag 5: Kunstpause

Nach etlichen Stunden im Kinosaal und den obligatorisch angesammelten Minusstunden an Schlaf protestiert der Körper allmählich. Da Sonntag ist, lässt sich der Kopf aber leicht zu einer Auszeit überreden, denn Sonntag heißt für viele immer noch: Pauseknopf. Der Kompromiss heißt: „All the World´s Future“, es geht zur Biennale d´ Arte ins Arsenale. Die Stadt ist gegen Mittag gefüllt mit Touristen, die sich wahrnehmungsresistent für ihre Umwelt und ortsansässige Venezianer ganz ohne Hektik und in gemächlichster Urlaubsruhe plappernd durch die engen Gassen schieben und sich bevorzugt in Brückenmitte oder vor Aus- und Eingängen zum Stehen bringen, um mal kurz zu verschnaufen, ein Selfie zu schießen oder nach Souvenirs Ausschau zu halten. Zu zweit nebeneinander her schleichend verstopfen sie die schmalen Flure zwischen den Häuserfronten für den Rest der Bevölkerung, der darauf hin und wieder etwas säuerlich reagiert, da er immer wieder um Durchlass bitten muss. Geduld ist das Gebot der Stunde, denn es dauert ein Weile, bis das Arsenale erreicht ist. Die Strategie heißt: Tetris – Schwarmlöcher suchen und sich unter Ausnutzung jeder freien Lücke im Turbogang an den Blindgängern vorbeizuquetschen.

Okwui Enwezor ist Chefkurator der 56. Kunstbiennale und hat sich zur Aufgabe gemacht, über den Zustand der Welt nachdenken zu lassen und die Kunst vom kapitalen Markt zu befreien. Ein schwieriges Unterfangen, bedenkt man allein, dass viele der Besucher, in diesem Fall die ´Reichen und Schönen`, die Kunstschau mit einer Renditeschau verwechseln und extra angereist kommen, um sich hier die Infos zu den nächsten Künstlergrößen zu holen. Die stopfen sich dann viele in ihre Privatsammlungen, bauen sich daraus private und prestigeträchtige Museen oder verschiffen ihre Kunstwerke in Off-Shore Paradiese, in zoll- und steuerfreie Oasen, wie die Zeit schon 2013 schrieb. Die öffentlichen und staatlichen Sammlungen schrumpfen immer weiter und können kaum zeitgenössische Kunst ankaufen, sondern maximal private Sammlungen temporär in die öffentlichen Räume einladen. Natürlich kommt eine solche Programmatik nicht ohne „Das Kapital“ von Karl Marx aus. Zu diesem Zwecke, dachte sich der laut Art Review auf Platz 24 der einflussreichsten Menschen in der Kunstwelt rangierende Kurator, dass Marx´ feine Ökonomiekritik eine Überprüfung als öffentliche Lesung auf der Biennale erfahren sollte. Die Lesung bildet einen von drei Filtern, wie es Okwui Enwezor nennt, in die er seine Ausstellung gegliedert hat. Zu den anderen zwei Filtern zählt „Der Garten der Unordnung“ – eine Anspielung auf die sich neu ordnende Welt, die mit der in den Giardini repräsentierten Weltordnung kaum noch etwas zu tun hat – und es gibt den etwas abstrakt gefassten und vielleicht auch etwas verkopften Filter der „Lifeness“, ein Versuch, der die Räume und Orte in ihrer Lebendigkeit fassen sollen.

Wohin gehen wir also in Zukunft? Enwezor versucht in Rückblicken und Gegenwartsanalysen auszuloten, wohin die Reise geht. Es ist eine dunke und pessimistische Vision, in die der aus Nigeria stammende Poet, Kunsthistoriker und -kritiker den Besucher führt. Den Prolog im ersten Saal der Ausstellung bildet ein Dialog zwischen Bruce Nauman und Adel Abdessemed. Naumans Neonröhren-Installationen benennen hier die Themen der Zukunft. Den Betrachter blinken abwechselnd Wörter wie „War“, „Eat/Death“, „Doesn´t Care“, „Nature“ von den Wänden an. Auf dem Boden zu Sträußen gefasst stehen im gesamten Raum verteilt „Nympheas“, Machten mit bunt bemalten Griffen, die dem Künstler Abdessemed zufolge, an die Seerosen Monets erinnern sollen. Ein vielleicht recht plakativer Einstieg und doch ein klares Statement. Durch die gesamte Ausstellung zieht sich ein bitterer und zuweilen zynischer Unterton. In vielen Objekten entdeckt man den Wolf im Schafspelz, den Devil in Disguise. Denn viele der 136 eingeladenen Künstler spielen mit den Instrumenten von Schönheit und Ästhetik, um von den brutalen Fakten, die sie in ihren Werken dokumentieren oder verarbeiten, abzulenken. Und in der Tat hört man Besucher, die dem Teufel auf den Leim gehen und beispielsweise Tiffany Chungs kleine Grafiken, die filigranstem, japanischem Geschenkpapier oder abstrakten, märchenhaften Illustrationen gleichen, mit den Worten: „Schau mal, wie schön.“ begegnen. Zeit, um die daneben hängende Legende zu lesen, nehmen sich die Wenigsten. Die ergäbe ein brutales Bild der Gegenwart, denn in ihren Arbeiten dokumentiert die aus Vietnam stammende Künstlerin den gegenwärtigen Zustand humaner Katastrophen, die Zahlen ziviler Kriegsopfer in Syrien, Gewaltverbrechen an Flüchtlingen oder die Richtungen der weltweiten Flüchtlingsströme.

Die Gewinnerin des Goldenen Löwen ist die in Berlin lebende Künstlerin, Adrian Piper, die mit ihren in Gold an den Wänden in Saal 5 festgehaltenen Sätzen: „I will always do, what I say I am going to do.“ oder „I will always mean what I say.“ den Besucher auffordert, einen Vertrag zu einem von drei Schwüren mit sich selbst abzuschließen, den man direkt am Ausstellungsort noch unterschreiben kann. Als „Aufruf zu lebenslangem Engagement“ bezeichnete es der Kurator Enwezor in der Begründung zur Preisvergabe. Die Konzeptkünstlerin definiert mit ihrem Werk den Kern dessen, was der Weltgemeinschaft und Otto Normalverbraucher oft abgeht, die Verantwortung und Verpflichtung nicht nur sich selbst gegenüber, sondern als Teil einer (globalen) Gesellschaft. In diesem Sinne ist der sonntägliche Ausflug in die Bildende Kunst ebenfalls ein Besuch, der noch nach Verlassen der Ausstellungshallen ein bisschen nachhallt.

SuT

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