London Film Festival 2015 – Ein Festivalbericht

Was bedeutet eigentlich "starke Frau"?


Die Dystopie "Evolution" von Lucile Hadžihalilović überzeugte beim BFI in London. Foto: BFI London

Die Dystopie „Evolution“ von Lucile Hadžihalilović überzeugte beim BFI in London. Foto: BFI London

In der vielversprechenden Hongkong Musical-Satire „Office“ über das Büroleben in der Finanzindustrie (in 3D!), sind die Charaktere so stereotyp wie in einem Rosamunde Pilcher Film. Der CEO ist zwar eine Frau, doch ihr Handeln gilt ihrem Geliebten zu gefallen. Dieser ist der Besitzer der Firma, dessen Frau im Koma liegt. Seine Tochter Kat hat er inkognito in die Firma geschleust, die fortan ebenso um die Gunst ihres Vaters (und ihrem Kollegen Lee) kämpft.

Bei Altmeister Skolimowski mit seinem durchaus nervenkitzelnden „11 Minutes“ sieht es in der Gleichstellungsfrage nicht viel besser aus. Die weibliche Hauptfigur ist eine naive Jungschauspielerin, die trotz sexueller Belästigung einem männlichen Macho-Regisseur gefallen will. Anstatt ihr mehr Macht zuzuschreiben und das Ekel in die Schranken zu weisen, bekommt sie von Skolimowski die Opferrolle, um von ihrem ritterlichen Ehemann befreit zu werden.

Weiterlesen: Unser ausführliche Kritik „Chaostheorie in Warschau“ zu „11 Minutes„…

Lichtblick im Wettbewerb war „Evolution“ in dem sich der Zuschauer auf eine Reise auf eine dystopische Insel mit absolutem Matriarchat begibt. Bevölkert ist der Ort von Jungen und ihren Müttern, die ihre Söhne im Unklaren darüber lassen warum sie Nasenbluten bekommen, sobald sie individuelle Gedanken äußern. Es ist ein starker und mutiger Film von Regisseurin Lucile Hadžihalilović, die schon mit ihrem Debütfilm „Innocence“ weibliche Dynamik in Machtstrukturen behandelt hat. Bei der Preisverleihung ging „Evolution“ leider leer aus.

Weiterlesen: Unsere ausführliche Kritik „Wenn Mutter den Sohn zum Schaudern bringt“ zu „Evolution„…

Ein Film, der dem Slogan ebenso inhaltlich Rechnung trug war der US-Indie „Queen of the Earth„. Viel weinen und Komplexe finden sich auch hier, allerdings lässt Regisseur Alex Ross Perry eine großartige Elisabeth Moss in der Rolle einer privilegierten New Yorkerin ihre Beziehung zu ihrer besten Freundin reflektieren. Anders als in vielen anderen Filmen (Berlins Techno-Beitrag „Der Nachtmahr“ zum Beispiel) sind die Frauen hier starke, dynamische Charaktere und der Prozess von Schmerz bis Heilung wird ungewertet offengelegt.

Was hat das BFI also mit seinem starke-Frauen-Motto gemeint? Die ausgezeichneten Regisseurinnen verdienen ihre Preise durchaus, doch was für eine Bedeutung hat ein Slogan, der nur bei Eröffnungsgala und Preisverleihung zu sehen ist? Was zählt sind nicht nur Floskeln und ein paar Preise. Liebes BFI, nächstes Mal mit Inhalt und Diskurs, please.

Laura Varriale