Soundwatch Music Film Festival 2018 in Berlin

2. Soundwatch: Unterhaltung und Anspruch


Das Poster zur Doku „Critic“. Copyright: studio aira

Die von Hans Habiger und Natalie Gravenor für die zweite Soundwatch-Ausgabe ausgewählten Filme boten einen tiefgehenden Blick in die unterschiedlichsten Musikkulturen, -genres und -strömungen, häufig verknüpft mit einer gesellschaftskritischen Perspektive. Viele der Filme liefen als Deutschland- oder Berlin-Premieren.

Wie William Badgleys Dokumentarfilm „Here to be heard – The story of the slits“ (GB 2017), dessen Berlin-Premiere im City Kino Wedding das Festival eröffnete. Der Film widmet sich der ersten Frauen-Punkband der Welt, die in den 1970ern in Großbritannien gegründet wurde. Dass „Here to be heard – The story of the slits“ als Eröffnungsfilm ausgewählt wurde, verdeutlicht den gesellschaftskritischen Anspruch und die Aktualität des Festivals, denn William Badgleys Film kann auch unter feministischen Aspekten gesehen werden. Eine anschließende Diskussion und Musik im Foyer vom DJ-Kollektiv ‚What Difference Does it make‘ beendete den Eröffnungsabend.

Einem ähnlichen Sujet widmete sich Sarah Price in ihrem Dokumentarfilm „L7 – Pretend we’re dead“ (USA 2017) über die US-amerikanische Punkband L7 um Donita Sparks, Suzi Gardner, Jennifer Finch und Dee Plakas. Der Film begeisterte das Festivalpublikum und landete beim Audience Award auf dem dritten Platz.
Das Video-Musical „Krieg der Töne“ (1988) von Michael Meert wurde vom Publikum auf den zweiten Platz gewählt. Es lief als Teil der Hommage an den Can-Bassisten und Sound-Explorer Holger Czukay.
Als besten Film des Festivals wählte das Publikum den zweiten Film des Festivals, die Filmtrilogie „Music is the art of time – Slovenian LP Trilogy“ (SL 2006 – 2018), der in die spannende und hierzulande eher unbekannte Geschichte der slowenischen Punk- und Rockmusik einführt.

Dem Musikkritiker Artemy Troitsky ist die Doku „Critic“ gewidmet. Copyright: studio aira

Auch der Dokumentarfilm „Critic“ (RU 2018) handelt von Rockgeschichte. Eine Ehrfurcht vor seinem Sujet merkte man dem Regisseur Andrei Airapetow an, der sich vor dem Filmscreening via Internet zu Wort meldete. Sein liebevoll und humorvoll inszenierter Dokumentarfilm widmet sich dem Musikkritiker Artemy Troitsky, einer Instanz der russischen Rockgeschichte. In den 1980er Jahren war Troitsky einer der wenigen und zugleich der wichtigste Rockkritiker Russlands. Der zugeschaltete Airapetow schilderte, wie wenig Musikjournalismus es in seiner Jugend gegeben habe und wie wichtig daher Troitsky mit seinen Musikkritiken gewesen sei.
Der Film zeigt Troitsky als einen kompromisslosen Menschen voller Aktionismus. Er organisierte das erste Rockfestival der UdSSR, arbeitete als DJ, gelegentlich sprang er als Musiker bei Bands ein, entdeckte wichtige russische Rockstars wie Mike Naumenko und Viktor Tsoi, interviewte internationale Musiklegenden wie David Bowie, schrieb Bücher und wurde später der erste Chefredakteur der russischen Playboy-Ausgabe. Mittlerweile arbeitet der immer noch sehr umtriebige Troitsky viel im Radio und ist eine wichtige Stimme für Menschenrechte in Russland.

Im Anschluss an „Critic“ meldete sich Troitsky per Skype selbst zu Wort und fand deutliche Worte zur aktuellen Situation Russlands. Nun, da mit „Leto“ ein Spielfilm über Viktor Tsoi und die russische Rockgeschichte (seit 8. November) in den deutschen Kinos läuft, bot „Critic“ die Möglichkeit sich diesem Sujet tiefer gehend zu widmen. Das Genre Rock steht für Rebellion – seit seinen Anfängen bis heute. So ist es spannend in „Critic“ zu erfahren, was die Wegbereiter des russischen Rocks wie Andrei Makarewitsch von der Band Maschina Wremeni (besteht seit 1969), Boris Grebenschikow von der Band Aquarium (besteht seit 1972) und Artemy Troitsky aktuell bewegt. Auf dem Soundwatch Festival lief der Film als Deutschland-Premiere und es bleibt zu hoffen, dass solch gelungene Musik-Porträts auch jenseits eines großen Kino-Releases ihr Publikum finden.

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