BFF on the Road: Die Online-Ausgabe des Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart (ITFS)

ITFS: Streamen statt Schlossplatz


Die Werke von Konstantin Bronziz verdienen Beachtung – auf der großen Leinwand sowieso, aber auch gestreamt. Foto: Konstantin Bronzit

Psst! Bloß nicht bewegen, sonst jagt es dich. Der Berliner Baum da draußen vor dem dunklen Fenster ist ein veritables Monster im Nachtblau, so gruselig und groß. Das ist das Schöne an den Animationswelten des Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart (ITFS): Auch vor dem Laptop oder der wohnzimmereigenen Leinwand-Konstruktion kann die Fantasie an Fahrt aufnehmen und beim Schauen und im Anschluss neue Dinge sichtbar machen, auch in den Nachbarsbäumen. Ja, auch ohne Festival. Und ja, obwohl der cineastische Umgebungsraum – die Gloria-Kinos, das Metropol und der Schlossplatz – bei dieser Ausgabe des ITFS, das sich bewusst nicht als „normale“ 27. Ausgabe, sondern eben als Onlineversion versteht, natürlich fehlt, ebenso wie die raschelnden und tuschelnden Stimmen, das Gewusel, die Schlangen, das Bier danach am Palast der Republik, die nach Pappe schmeckende Pizza. Und die Pizza-Film-Evaluationen, mal monologisierend, mal einwortig.

Lange hat die Geschäftsführung eine Absage des nach eigenen Angaben jährlich bis zu 100.000 Besucher*innen zählenden deutschlandweit größten Animationsfilmfestivals hinausgezögert. Wohl auch, weil die Filmschaffenden über die bis dato nur geplanten Online-Festivalversionen nicht zu glücklich waren – die Filme seien ja schließlich für die großen Leinwände gemacht worden, so das immer wieder zu hörende, immer einleuchtende Argument. Aber dann kam sie doch, die Offline-Absage und die digitale Plattform des Online-ITFS, nicht zuletzt vielleicht auch, weil es ja keine Garantie für eine wiederkehrende „Zeit vor März“ mit „normalen“ Festivalauswertungen gibt; oft reicht es nicht mal mehr für eine Vorstellung davon in unseren Köpfen. Weil es das ITFS ist, das in den letzten Jahren auch immer ein Unterhaltungs-Allrounder war mit seinen zig Spielstätten und neuen Veranstaltungsformaten, gibt es bei der Onlineversion neben dem Wettbewerbsprogramm auch Masterclasses, Talks und Workshops für Kinder und – als wäre man vor Ort – ein tägliches thematisch fokussiertes Abendprogramm aus Konzerten und Filmen sowie Night Talks und Night Streams.

Das Programm des Internationalen Wettbewerbs (konkret: die für den Online-Bereich freigeschaltete Auswahl aus dem Internationalen Wettbewerb) schaut sich dabei ein bisschen so, als hätte das Auswahlkomitee schon vor dem März den Corona-Blues gehabt. Das Thema Abschied ist jedenfalls ein großer Renner. Juri Gagarin wird in Kaspar Jancis’ neuestem Wurf „Kosmonaut“ langsam dement, eine Tochter erinnert sich an die mysteriös-erwachsenen Rituale im Waschbad mit ihrer Mutter („Kujiranoyu„, „Bath House of Whales“ von Mizuki Kiyama) und Konstantin Bronzit erzählt einmal mehr herrlich konzentriert von den Kosmonauten und dem Erwachsenwerden in „On ne mozhet zhit bez kosmosa“ („He can’t live without cosmos„).
Aber die schönsten Abschiede sind Stop-Motion-Abschiede – und sie stammen von Regisseurinnen. Da wäre zunächst der für den Oscar nominierte „Daughter“ von Daria Kashcheeva, eine zeitlose Vater-und-Tochter-Geschichte von unglaublicher Zartheit, die aufgrund ihrer atmenden Kamerachoreografie eine ganz besondere Intensität und Intimität entwickelt. Hinzu kommt der mit dem 3D-Stift in den Raum komponierte „Uzi“ („Ties„/ Stop-Motion und digital gezeichnet) von Dina Velikovskaya, der sich der innigen Beziehung zu den eigenen Eltern und der nötigen Abkapselung widmet. Und nicht zu vergessen der neueste Film von Anita Killi, „Mor visste ingenting“ („Mother Didn’t Know„), der wie viele ihrer Vorgängerfilme die Traurigkeit und die Magie in jeden Faden ihrer filigranen Figuren einwebt. Damit der Schwermut nicht Überhand nimmt, haben es aber auch Gott sei Dank Festivallieblinge wie Tomek Popakuls „Acid Rain“ und der unsagbar komische, verrückte und in seiner Konsequenz der Überspitzung aus Allem herausragende Goldene-Taube-Gewinner „Kohannia“ („Deep Love„) von Mykyta Lyskov ins Programm geschafft.

1 2 3 4