„Wir lieben es, Filme zu schauen!“, Lenny und Harpo Guit, Regisseure von MOTHER SCHMUCKERS
Interview mit Harpo und Lenny Guit
Das Spielfilmdebüt der Brüder Harpo und Lenny Guit hat bei der aktuellen Ausgabe des Sundance Filmfestivals seine Premiere gefeiert. MOTHER SCHMUCKERS wurde in der Midnight-Sektion des Festivals gezeigt, in einer Auswahl mit anderen Horror-Grusel-Trash-Filmen. Eine der Gemeinsamkeiten aller Werke ist die Vorliebe der Autoren für einen gewissen Retrostil, die sie in der Ausstattung und/oder der Versetzung der Stoffe in eine vergangene Epoche ausgelebt haben.
Für MOTHER SCHMUCKERS mussten die Brüder mit einem sehr bescheidenen Budget auskommen. Dies ist zum einen formal sichtbar, da viele Szenen mit der Handkamera draußen aufgenommen und dabei die Umstände vor Ort miteinbezogen wurden. Zum anderen hat das für eine äußerst authentische Stimmung im Film gesorgt. Erzählt wird das Abenteuer von zwei nichtsnützigen Brüdern, die eines Tages den geliebten Hund ihrer Mutter verlieren. Ihre Geduld hat damit ein Ende. Wenn sie den Hund nicht wiederbeschaffen, droht sie, sie auf die Straße zu setzen. Auf der Suche nach dem Tier stossen die beiden auf einen dicken Freier der Mutter, der den Hund als Lösemittel für eine Nacht mit der Mutter verwenden will. Doch Cashmere, wie die Mutter heißt, denkt überhaupt nicht daran – auch nicht, obwohl sie eigentlich als Prostituierte arbeitet.
Geschickt balanciert die absurde Komödie auf der Grenze zur Geschmacklosigkeit, ohne sie ganz zu überqueren. Auf jeden Fall ist der Film sehr schnell geschnitten, rasant inszeniert und unterhaltsam. Die Brüder erklären im Interview wie sie mit der Herausforderung des ersten eigenen Langspielfilms umgegangen sind und was sie zum Film inspiriert hat.
Woher kam die Idee für den Film?
Harpo und Lenny Guit: Ausgangspunkt war die Idee, die Geschichte von zwei Brüdern zu erzählen, die völlig durchgeknallt sind und ohne den anderen nichts tun können. Wir stellen uns Dinge vor, die wir uns im realen Leben nie trauen würden, oder Situationen, in denen wir wirklich nicht sein möchten, und lassen unsere Figuren das erleben. Wir bringen die Figuren an verrückte Orte, lassen sie lustige Begegnungen haben und versuchen, uns selbst zu überraschen, indem wir uns vorstellen, was unsere verrückteste Reaktion in dieser und jener Situation wäre.
War es schwierig, die Finanzierung zu bekommen?
Es hat ein bisschen gedauert, die Finanzierung zu finden, aber wir haben weiter nebenbei andere Dinge gemacht und am Drehbuch gearbeitet und die Hoffnung nicht aufgegeben. Dann gab es diese Hilfe von der FWB (Anm.d.R. Fédération Wallonie-Bruxelles) für leichte Produktionen (Anm.d.R. damit sind Film gemeint, die von Anfang an mit reduzierten Mitteln konzipiert wurden), die wir bekommen haben und dann haben wir losgelegt, wir haben nicht gewartet, bis wir das volle Budget hatten.
Gab es Außenaufnahmen, für die Sie keine Autorisierung hatten? Gab es Aufnahmen, die Sie mit den Gegebenheiten vor Ort gemacht haben? (Ich denke da vor allem an Szenen wie die auf dem Markt, auf der U-Bahn-Treppe oder auf der Grande-Place in Brüssel).
Ja, alle diese erwähnten Szenen haben wir etwas wild gedreht. Aber wir haben genau diese Szenen mit einer sehr kleinen Crew gedreht, um diskret zu bleiben. Es gibt noch ein paar andere im Film, zum Beispiel alle Szenen, die mit der DV-Kamera gedreht wurden. Aber ansonsten wurde mit einem etwas größeren Team gedreht und wir waren sehr sicher. Auch in diesem Arrangement haben wir versucht, aufmerksam zu bleiben, um die lustigen Sachen an jeder Stelle zu erkennen.
Was waren die größten Herausforderungen?
Es war das erste Mal, dass wir mit einem richtigen Team gedreht haben, bei dem Leute bezahlt wurden. Auch wir wurden bezahlt! Also das hat uns schon ziemlich unter Druck gesetzt MOTHER SCHMUCKERS ist unser erster Spielfilm, wir wollten das Bestmögliche daraus machen, um all den Leuten, die an uns geglaubt haben, die uns geholfen haben, die sich in den Film investiert haben, etwas zu beweisen. Ansonsten haben wir mehr oder weniger den gleichen Prozess wie bei unseren Kurzfilmen angewendet. Es war insgesamt eine unglaubliche Erfahrung.
Wie haben Sie die Aufgaben zwischen Ihnen beiden aufgeteilt?
Wir machen wirklich alles zusammen. Vom Schreiben über die Regie bis zum Schnitt.
Haben Sie sich streng an ein Drehbuch gehalten oder gab es Raum für Improvisation?
Tatsächlich sieht das Drehbuch dem fertigen Film sehr ähnlich. Aber trotz allem versuchen wir, den Schauspielern viel Raum zu lassen. Vor den Dreharbeiten haben wir mit den Schauspielern viel geprobt und improvisiert, was wir dann in das Drehbuch integriert haben. Und wenn es während der Dreharbeiten neue Ideen gab, waren wir sehr angetan davon!
Haben Sie irgendwelche literarischen oder filmischen Vorbilder, die Sie inspirieren?
Wir hatten viele Inspirationen für MOTHER SCHMUCKERS. Wir lieben das Universum von John Waters. Wir lieben auch die italienischen Komödien der 1960er Jahre von Monicelli, Risi, Scola, die oft Charaktere zeigen, die sich abmühen, die es aber immer schaffen, diese dramatischen Situationen mit Humor und Leichtigkeit zu sublimieren. Wir sind auch große Fans der amerikanischen Komödien, mit denen wir aufgewachsen sind: BEAVIS AND BUTT HEAD DO AMERICA von Mike Judge, DUMB AND DUMBER von den Farelly-Brüdern, NAPOLEON DYNAMITE von Jared Hess. Dazu gehören auch obskurere französische Filme wie SORGOÏ PRAKOV, MY EUROPEAN DREAM von Rafael Cherkaski, THEMROC von Claude Faraldo und AUGUSTIN von Anne Fontaine. Wir lieben es, Filme zu schauen! Auf der literarischen Ebene sind es die Werke von Roland Topor und Simon Hanselman, die uns inspiriert haben.
Hat Ihr Vorname „Harpo“ einen Bezug zu den Marx Brüdern?
Harpo Guit: Ja, unsere Eltern waren große Fans.
Die Fragen stellte Teresa Vena für Berliner Filmfestivals.