Die 93. Academy Awards – Ein Rückblick


Doch auch wenn Wettbewerb in der Kunst problematisch und die Verleihung von Preisen fragwürdig ist, sind die Oscars vor allem aus Sicht der breiten Öffentlichkeit zentral. Egal, was man von ihnen hält, sie sind die größte und wichtigste Filmplattform weltweit. Einen Oscar zu gewinnen, hat ganz konkrete Folgen für Filme und alle, die an ihnen beteiligt sind. Sie bekommen nicht nur mehr Aufmerksamkeit, sondern auch mehr Förderung und Möglichkeiten. Darauf bezieht sich auch Ryan Coogler, wenn er sagt: „I know that these things bring exposure.“

Und genau darum geht es: Wenn sowieso nicht die besten Filme gewinnen, ist es umso wichtiger, dass die Oscars die Diversität der Filmindustrie abbilden und fördern. Diese Hoffnung erweckte die diesjährige Preisverleihung. Die Pandemie hat dafür gesorgt, dass Filme Aufmerksamkeit bekommen haben, die sonst unter den großen Produktionen, die immer wieder verschoben wurden, untergegangen wären. Dass ein Film wie SOUND OF METAL (Darius Marder 2019, USA) der sich nicht nur intensiv mit dem Thema Gehörlosigkeit beschäftigt, sondern auch relativ unabhängig produziert wurde, gleich sechs Mal nominiert war und am Ende für Sound und Montage ausgezeichnet wurde, wäre in einem anderen Jahr wohl nicht passiert.

Die Oscars schrieben dieses Jahr Geschichte. Chloé Zhao ist nicht nur die zweite Frau, sondern auch die erste Woman of Colour, die einen Oscar für die beste Regie bekommen hat. Mit ihrem Oscar als beste Nebendarstellerin in MINARI (Lee Isaac Cheung, 2020) war Yuh-Jung Youn die erste koreanische Schauspielerin, der diese Ehre zuteil wurde. Der Oscar für Emerald Fennells Drehbuch zu PROMISING YOUNG WOMAN setzte zudem ein Zeichen dafür, die Rape Culture unserer Gesellschaft endlich genauer unter die Lupe zu nehmen. Und trotzdem: Auch dieses Jahr bliebt etwas hinter den Hoffnungen auf eine Siegerehrung, die der Vielfalt ihrer Filme gerecht wird, zurück. Deutlich zeigte das der Oscar für den besten Hauptdarsteller. Der klare Favorit war hier der letztes Jahr verstorbene Chadwick Boseman. Boseman ist vor allem für seine ikonische Darstellung als T’Challa oder Black Panther im gleichnamigen Marvel-Film bekannt und war posthum für seine letzte Rolle in MA Rainey’s Black Bottom (George C. Wolfe, 2020 USA) nominiert. Zur Überraschung von Filmfans und -journalist*innen erhielt Anthony Hopkins für seine Rolle in THE FATHER (Florian Zeller, 2020 F/USA) den Preis. Auch die Organisator*innen scheinen mit einer Ehrung Bosemans gerechnet zu haben. Normalerweise wird der Oscar für den besten Film zuletzt verliehen. Steven Soderbergh, der die diesjährige Zeremonie inszenierte, änderte kurzerhand die Reihenfolge und stellte den Oscar für den besten Hauptdarsteller ans Ende. Wäre der Oscar an Boseman gegangen, hätte die Preisverleihung auf einem emotionalen Höhepunkt geendet. Stattdessen verkündete Joaquin Phoenix etwas perplex, die Academy akzeptiere den Preis für Hopkins, weil dieser nicht anwesend sei. Später veröffentlichte Hopkins eine Dankesbotschaft, in der er sich genauso überrascht zeigte, wie der Rest der (Film-)Welt.

Die Oscars sind jedes Jahr eine janusköpfige Angelegenheit. Auf der einen Seite geht die Preisverleihung nie weit genug, werden viele Stimmen, insbesondere solche von PoC, Frauen oder Menschen mit Behinderung, weder gehört noch gewürdigt. Auf der anderen Seite sind die Oscars eine Feier zu Ehren des Films, ein Instrument der Repräsentation, eine Möglichkeit, es besser zu machen als letztes Jahr. Chloé Zhao widmete ihren Oscar dieses Jahr allen, die mutig genug sind, am Guten in sich und anderen festzuhalten: „This is for anyone who has the faith and the courage to hold on to the goodness in themselves and to hold on to the goodness in each other, no matter how difficult it is to do that.“ Vielleicht ist das der beste Weg nach vorne. Louis B. Mayer wollte die Bildung von Gewerkschaften verhindern. Auf lange Sicht ist ihm das nicht gelungen. Ob als Publikum oder Filmemacher*innen, als Teil der Academy von innen, oder außerhalb des Systems, können und müssen wir uns weiter für Vielfalt einsetzen, damit die nächste Regisseurin nicht erst in zwölf Jahren, sondern sobald wie möglich mit dem Oscar ausgezeichnet wird.

Theresa Rodewald

Zum Interview mit Ryan Coogler, Charles King und Shaka King geht es hier.
Mehr über die Geschichte der Academy of Motion Picture Arts and Sciences und der Oscars, erfahrt ihr in diesem Artikel.
Alle Oscar-Nominierungen und Gewinner*innen gibt es hier.

Auswahl der Gewinner*innen der 93. Academy Awards 2021

Bester Film: Frances McDormand, Peter Spears, Mollye Asher, Dan Janvey and Chloé Zhao (Producers), NOMADLAND
Bester Hauptdarsteller: Anthony Hopkins, THE FATHER (Florian Zeller, 2020 F/USA)
Bester Nebendarsteller: Daniel Kaluuya, JUDAS AND THE BLACK MESSIAH
Beste Hauptdarstellerin: Frances McDormand, NOMADLAND
Beste Nebendarstellerin: Yuh-Jung Youn, MINARI
Animationsfilm (lang): SOUL
Cinematography: Erik Messerschmidt, MANK
Kostüm: Ann Roth, MA Rainey’s Black Bottom
Regie: Chloé Zhao, NOMADLAND
Dokumentation (lang): Pippa Ehrlich, James Reed and Craig Foster, My Octopus Teacher
Dokumentation (kurz): Anthony Giacchino and Alice Doyard, Colette
Montage: Mikkel E. G. Nielsen, Sound of Metal
Internationaler Film: Another Round
Production Design: Donald Graham Burt; Set Decoration: Jan Pascale, MANK
Kurzfilm (Animation): Will McCormack and Michael Govier, If Anything Happens I Love You
Kurzfilm (Feature): Travon Free and Martin Desmond Roe, Two Distant Strangers
Drehbuch (adaptiert): Christopher Hampton and Florian Zeller, The Father
Drehbuch (original): Emerald Fennell, Promising Young Woman

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