DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN von Katharina Marie Schubert


DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN © 2021 Wild Bunch Germany

Ostdeutsches Mutter-Tochter-Märchen

In einem tristen ostdeutschen Provinzstädtchen im Jahr 1999 bereitet sich Gudrun (Corinna Harfouch) auf ihren 60. Geburtstag vor, zu dem ihre erwachsene Tochter Lara (Birte Schnöink) aus Berlin anreist. Zum Ehrentag der Mutter hat Lara ihr eine Rede geschrieben, die Gudrun jedoch nicht interessiert. Sie schreibt die Rede, die ihre Tochter bei dem Fest halten soll, vorsichtshalber selbst – und verhält sich ihrer Tochter gegenüber auch sonst belehrend und herablassend.

Ihre Geburtstagsfeier richtet die eigensinnige Gudrun am Abend in dem ehemaligen DDR-Kinderheim aus, in dem sie aufgewachsen ist. Doch während des Fests, zu dem das halbe Dorf erschienen ist, erfährt Gudrun, dass „ihr“ Heim, ein mittlerweile leer stehendes, heruntergekommenes Herrenhaus, an einen ortsfremden Investor verkauft werden soll, der ein Hotel daraus machen will. Für Gudrun bricht eine Welt zusammen. Verletzt und enttäuscht verlässt sie die Feier.

Als Einzige aus dem Ort setzt sie sich von nun an dafür ein, das Heim zu erhalten – und wählt dafür auch unkonventionelle und blauäugige Mittel. Parallel dazu macht sich Gudruns Tochter Lara, die mit ihrem Stiefvater aufgewachsen ist, auf die Suche nach ihrem leiblichen Vater, den sie nie kennengelernt hat. Im Schlafzimmer ihrer Mutter stößt Lara auf ein Gemälde, das ihr einen neuen Anhaltspunkt liefert – und sie zurück nach Berlin führt.

Die Schauspielerin Katharina Marie Schubert legt mit DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin vor, das trotz seines zurückgenommenen Tons bewegt. Schubert kann sich neben den überzeugenden Hauptdarstellerinnen Birte Schnöink und Corinna Harfouch auf routinierte Nebendarsteller:innen wie Gabriela Maria Schmeide, Imogen Kogge und Jörg Schüttauf verlassen – größtenteils Schauspieler:innen aus Ostdeutschland, die ihre eigenen Erfahrungen in der Nachwendezeit in den Film einfließen lassen konnten.

Wie schon in diversen anderen Filmen, u.a. in Jan-Ole Gersters LARA, spielt die großartige Corinna Harfouch auch in DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN eine hartherzig wirkende Mutter, deren Fassade im Laufe des Films zu bröckeln beginnt und deren Beweggründe vor dem Hintergrund ihrer Lebensgeschichte klarer hervortreten. Katharina Marie Schubert, die sechs Jahre lang am Drehbuch zum Film arbeitete, gelingt es, die Geschichte über ein angespanntes Mutter-Tochter-Verhältnis mit der einer ostdeutschen Kleinstadt in den Jahren nach der Wende zu verweben.

DAS MÄDCHEN OHNE HÄNDE, ein Märchen der Gebrüder Grimm, verleiht dem Film eine weitere Deutungsebene. Im Märchen verkauft ein armer Müller seine Tochter unwissentlich an den Teufel – in der Hoffnung auf Reichtum. Im Film steht der Verkauf des DDR-Kinderheims an einen – vermutlich westdeutschen – Investor Gudruns Wunsch gegenüber, das Heim als Ort der Begegnung und Gemeinschaft für die Einheimischen zu erhalten. Kapitalismus trifft auf sozialistische Überzeugungen.

Darüber hinaus ist der Weggang der Tochter nach Berlin immer wieder ein Streitthema zwischen Gudrun und Lara. Gudrun wirft ihrer Tochter vor, sich nicht mehr für ihren Heimatort zu interessieren und ihn und seine Bewohner:innen für ihre Arbeit in der Hauptstadt im Stich zu lassen. Das alte Märchen, das die beiden starken und entschlossenen Frauen mit ihrer Kindheit verbinden, ist es schließlich, das Gudrun und Lara wieder zusammenführen könnte.

Stefanie Borowsky

DAS MÄDCHEN MIT DEN GOLDENEN HÄNDEN, Regie: Katharina Marie Schubert. Mit: Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Gabriela Maria Schmeide, Imogen Kogge, Jörg Schüttauf.

Kinostart: 17.02.2022