Kurzfilmtag 2022: Die besten Berliner Veranstaltungen


Kurzfilmtag 2022 – Filmische Lichtblicke am kürzesten Tag des Jahres.

Kurzfilmtag 2022: Mit Kurzen gegen die Dunkelheit

Neben Weihnachten und Silvester steht Jahr für Jahr noch ein dritter Dezember-Termin im Kalender kurzfilmaffiner Cineast*innen: der Kurzfilmtag am 21. Dezember, dem Tag der Wintersonnenwende. Draußen wird es an diesem Tag nicht einmal acht Stunden hell sein – ein guter Grund, sich den düstersten Tag des Jahres mit internationaler Kurzfilmkunst zu versüßen. 2022 feiert Deutschland den Kurzfilmtag an mehr als 210 Orten mit einer Rekordbeteiligung von über 520 Events unter dem Motto „Ich sehe was, was du nicht siehst“. In Berlin sind bisher 37 Veranstaltungen geplant.

Das Lichtblick-Kino zeigt ab 21:45 Uhr „Golden Shorts“, internationale Highlights des diesjährigen Festivals Interfilm. Mit dabei ist u. a. der Animationsfilm LOUIS I. KING OF THE SHEEP von Markus Wulf, in dem sich ein Schaf, dem ein zufälliger Windstoß eine Krone aus Papier zuweht, kurzerhand selbst zum König der Schafe ernennt und sich schnell in einen absolutistischen Herrscher verwandelt. Obwohl Schaf Louis an den Sonnenkönig Ludwig XIV. erinnert, liegt auch der Gedanke an aktuelle Diktatoren nahe. Im Animationsfilm IN THE UPPER ROOM von Alexander Gratzer besucht der junge Maulwurf Alexander regelmäßig seinen Großvater in dessen Bau. Doch als Alexander älter wird, muss er sich langsam von seinem Opa verabschieden. Das Kurzfilmprogramm „Golden Shorts“ flimmert ab 21:15 Uhr ebenfalls im ACUDkino über die Leinwand.

Das City Kino Wedding zeigt ab 19:30 Uhr die besten Filme des diesjährigen Festival of Animation Berlin. Teil des Programms ist u. a. der vor Kurzem mit dem Europäischen Filmpreis für den besten Kurzfilm ausgezeichnete GRANNY’S SEXUAL LIFE von Urška Djukić und Émilie Pigeard, in dem sich, illustriert durch Animationen und Schwarz-Weiß-Fotos, vier alte Frauen an ihr Sexualleben zurückerinnern und dabei Erschütterndes über sexualisierte Gewalt in der Ehe und die Situation slowenischer Frauen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erzählen.

Im Lichtblick-Kino präsentiert Interfilm ab 18 Uhr sieben Gewinnerfilme und Höhepunkte aus dem Kurzfilmwettbewerb des diesjährigen Sundance Film Festivals, darunter YOU GO GIRL! von Shariffa Ali. Darin findet sich Audrey, die in New York City als Comedian auf der Bühne zuhause ist, in den Bergen von Oregon wieder. Das IL KINO führt ab 15 Uhr die Filmauswahl KUKI – Kurze für Kids 7+ vor. Dabei ist u. a. EIN LUCHS IN DER STADT von Nina Bisiarina, in dem ein neugieriger Luchs, magisch angezogen von den Lichtern der großen Stadt, den Wald verlässt.

Das Haus für Poesie setzt ab 19:30 Uhr auf eine Poesiefilmauswahl, u. a. mit BAT EYES von Damien Power, in dem sich Mittzwanziger Adam während eines Sehtests daran zurückerinnert, wie er eine kurzsichtige Klassenkameradin während des Unterrichts in der Highschool demütigte. Der Kurzfilm beruht auf dem Gedicht „When You Are Old And Grey“ von William Butler Yeats.

Ab 21:20 Uhr zeigt das IL KINO das zweistündige Programm „Colourful Shorts“, das aus einer bunten Mischung von 16 Kurzfilmen vom Obscura Filmfestival, von KinoBerlino und vom Uranium Filmfestival besteht. Das Kurzfilmpublikum kann sich u. a. auf O freuen, dessen Cast und Crew im Kino vorbeischauen werden. Außerdem ist ANNIVERSARY von Craig Ouellette Teil der Filmauswahl, in dem die frisch vermählten Rubin und Lily, die ein Baby erwartet, in den Sonnenuntergang fahren. Was romantisch beginnt, nimmt schon bald gruselige Züge an.

Bei den Kurzfilmtagen in Moabit im Honiggelb Berlin ist ab 18:30 Uhr im Kurzfilmprogramm „Sieh mal eine*r an!“ u. a. A MAN FALLS FROM THE SKY von Kurt Platvoet und Jan Verdijk zu sehen, in dem ein Ehepaar, in dessen Garten ein geflüchteter Mann vom Himmel fällt, darüber in Streit gerät, wie mit dem Vorfall umzugehen sei. Während Ineke helfen will, fühlt sich ihr Mann Ton von dem unbekannten Mann bedroht und will ihn loswerden. In dem Kurzfilm, der international bereits auf zahlreichen Festivals zu sehen war, kritisiert das Regieduo den Umgang mit Geflüchteten in Europa.

Das Blindenhilfswerk Berlin e. V. präsentiert ab 19 Uhr barrierefreie Kurzfilme, darunter den Animationsfilm OBERVOGELGESANG von Elias Weinberger und Ferdinand Ehrhardt, in dem eine Teenagerin auf der Zugfahrt in ihren Heimatort Obervogelgesang in der Sächsischen Schweiz mit dem Thema Rechtsextremismus konfrontiert wird und nach ihrem persönlichen Weg sucht, dagegen anzukämpfen. Anna Rollers 2021 mit dem Deutschen Kurzfilmpreis in Gold (Kategorie Spielfilm bis 10 Minuten Laufzeit) ausgezeichneter Kurzspielfilm GÖR über eine junge alleinerziehende Mutter, die alles gibt, um ihren Sohn zu verteidigen, der einem Mädchen eine Kette gestohlen haben soll, findet sich ebenfalls im Kurzfilmprogramm.

Das Hackesche Höfe Kino richtet sich mit den beiden Kurzfilmprogrammen „Zusammen staunen“ (empfohlen für Kinder von sechs bis sieben Jahren) ab 10:30 Uhr und ab 15:30 Uhr und „Die Magie der Animation“ (empfohlen für Vier- bis Fünfjährige) um 09:30 Uhr und um 14:30 Uhr an die jüngsten Kurzfilmfans. In PLASTIK von Sébastien Baillou, Teil der Kinder-Kurzfilmrolle „Die Magie der Animation“, die sich aus sieben Kurzfilmen ohne Dialoge zusammensetzt, weist eine Möwe kindgerecht auf die Verschmutzung der Meere hin. DER DRACHEN von Martin Smatana, ein berührender Animationsfilm über einen Enkel und den Abschied von seinem Großvater, der in der aus fünf Filmen ohne Dialoge bestehenden Filmrolle „Zusammen staunen“ enthalten ist, gewann international mehr als 50 Preise. Im ACUDkino ist das Programm „Zusammen staunen“ ab 17 Uhr zu bestaunen. Das Lichtblick-Kino zeigt die Programme „Die Magie der Animation“ um 16 Uhr und „Zusammen staunen“ um 17 Uhr.

Mehrere Filmemacher*innen stellen ihre Kurzfilme im Lichtblick-Kino persönlich vor. Um 19:30 Uhr diskutiert das Filmteam, bestehend aus dem Filmkollektiv Schwarzer Hahn und Filmemacher*innen der selbstorganisierten Filmschule filmarche, mit dem Publikum über EUNOMIA, einem Kurzfilm über eine wütende junge Nonne, die im Jahr 2040 in Zeiten von Kriegen, Hungersnöten und Umweltkatastrophen versucht, die Gemeinschaft zu retten. Um 20:30 Uhr stellt sich Marius Staubach, der Regisseur von SCHATTENPANDEMIE, den Fragen des Publikums. In seinem Kurzfilm geht es um eine Mutter, die während der Pandemie Opfer sexualisierter Gewalt durch ihren Ehemann wird, und deren Sohn sie stützt.

Doch nicht nur in Kinos halten die Kurzen am 21. Dezember Einzug. Ob Wohnzimmer oder Weihnachtsmarkt, WG-Küche oder Waldlichtung, Schloss oder Shoppingcenter, Bibliothek oder Bauernhof – jeder Ort kann sich in einen Spielort für Kurzfilme verwandeln. Verschiedenste Filmprogramme warten darauf, entdeckt zu werden und am düstersten Tag des Jahres Trübsal zu vertreiben. Wer nicht nur zuschauen, sondern mitwirken und selbst Kurzfilme vorführen möchte, kann sich noch anmelden und aus verschiedenen Filmprogrammen Favoriten auswählen. Mitmachen und einmal Filmvorführer*innen sein können alle: Privatpersonen, Vereine oder Kinos.

Die Idee zum Kurzfilmtag kommt aus Frankreich. Dort fand „le jour le plus court“ („der kürzeste Tag“) zum ersten Mal 2011 statt. Seit 2012 gibt es den Kurzfilmtag auch in Deutschland, koordiniert von der AG Kurzfilm, dem Bundesverband Deutscher Kurzfilm, die in diesem Jahr ihr 20. Bestehen feiert und der es darum geht, die Position des Kurzfilms insgesamt zu stärken: „Grundsätzlich soll dieser Aktionstag dazu animieren, Kurzfilme auch an den restlichen 364 Tagen zu zeigen“, so Jana Cernik von der AG Kurzfilm im aufschlussreichen Gespräch mit BLICKPUNKT:FILM.

Mittlerweile haben sich Kurzfilmfans aus vielen anderen Ländern der Idee angeschlossen, den kürzesten Tag des Jahres mit kurzen Filmen zu feiern und sich gemeinsam auf mehr Tageslicht zu freuen. Der dunkelste Tag des Jahres 2022 kann also kommen – und hoffentlich dazu beitragen, dass viele Menschen auch an helleren Tagen die Vielfalt des Kurzfilmschaffens genießen möchten.

Stefanie Borowsky