Woche der Kritik 2023: Der BFF-Überblick
Gefühlskino mal anders
Dass Filme mehr als reiner Konsum sein können, dafür setzen sich viele Filmemacher*innen, Künstler*innen, Kritiker*innen, Kinos, Kulturinstitutionen – und natürlich nicht zuletzt Festivals massiv ein. Und so verhandelt die Woche der Kritik in diesem Jahr unter anderem den Bereich der Fürsorge. Fürsorgliches Kino? Hört sich seltsam an? Das liegt wahrscheinlich daran, dass man die Begriffe in der Kombination leider nie hört.
Vom 15. bis 23. Februar 2023 findet die 9. Woche der Kritik im Hackesche Höfe Kino in Berlin statt und wird traditionell vom Verband der deutschen Filmkritik veranstaltet. Wie jedes Jahr steht die Woche auch dieses Mal unter einem besonderen Fokus. Dass der Fokus eine Reflektion auf das Kino und den Film ist, ist dabei so essentiell für die Veranstaltung wie die einleitende Themenkonferenz zur Woche.
„Aestethics of Care“ lautet der Titel der Woche der Kritik diesmal. Die Konferenz widmet sich der Frage „Cinema of Care – Wer kümmert sich um das Kino?“, stellt die feministische Forderung eines sozialen Wandels hin zu einer fürsorglicheren Gesellschaft an das Kino, die Kunst und Kulturarbeit und diskutiert wie dieser Wandel aussähe. Dabei wird stark auf die Branche geschaut, die mitunter fürsorgliche Filme schafft, aber häufig die eigenen Macher*innen schlecht bezahlt und wenig Stabilität und Sicherheiten bietet. Die Woche der Kritik formuliert es deutlich auf der eigenen Homepage: „Während viele Kulturarbeiter*innen und Künstler*innen antikapitalistische Positionen vertreten, zählt ihre eigene Branche zu den prekärsten“. Ein Wandel in den Rahmenbedingungen, aber auch im Denken aller ist hier also schon lange erforderlich und die Konferenz in der Akademie der Künste zu dem Thema verspricht ein Highlight gleich zum Festival-Auftakt am 15. Februar zu werden. Dann diskutieren die Regisseurin Claire Denis („Beau Travail“), der Festivalleiter Marek Hovorka vom Ji.hlava International Documentary Film Festival sowie die Filmkuratorin und Filmkritikerin Abby Sun. Zudem wird der Film SOILS_HABIT_PLANTS (R: Elke Marhöfer und Mikhail Lylov) gezeigt, begleitend zum Werkstadtgespräch mit der Künstlerin Elke Marhöfer, die sich mit ökologischem Denken und Handeln beschäftigt. Die politische Theoretikerin Isabell Lorey („Demokratie im Präsens“) wird außerdem im Rahmen der Konferenz den Begriff der (Für-)Sorge näher erläutern.
Stark beginnt das Filmprogramm der Woche am 16. Februar unter dem Titel „Missing in Action“ – mit dem Fürsorge-Thema quasi „in a nutshell“ – in Form von drei bemerkenswerten Filmen. Die Filmemacherin Yaela Gottlieb geht in ¿DÓNDE ESTA MARIE ANNE auf die Suche nach der verschwundenen Schauspielerin und Aktivistin Marie Anne Erize Tisseau, die 1976 während der argentinischen Diktatur gekidnappt wurde. Der Schweizer Filmemacher Valentin Merz spielt einen exzentrischen Filmemacher in seinem experimentierfreudigen Spielfilm AT NIGHT ALL CATS ARE BLACK (DE NOCHE LOS GATOS SON PARDOS). Seine Figur würde gerne seine Familiengeschichte verfilmen, erhält aber nur die Finanzierung für erotische Filme. Als er während Dreharbeiten eines Nachts verschwindet, schaltet sich die Polizei ein. Den Abend schließt der wunderbare Kurzfilm LUST („Ein perfektes Paar oder die Unzucht wechselt ihre Haut“) der österreichischen Künstlerin Valie Export, der in jeder Sequenz 80er-Jahre-Charme versprüht, in seiner Konsumkritik jedoch heute noch genau so aktuell ist wie in seinem Premierenjahr 1986.
Die Filmabende bestehen immer aus mehreren Filmen. Wie bei allen Festivals gilt bei der Woche der Kritik im Besonderen unterschiedlichen Perspektiven zu begegnen. Hier sind Filme nicht gefällig, bieten immer Diskussionspotential.
Die Filme kommen in diesem Jahr mitunter surreal daher und fordern auf vielen Ebenen die Sinne heraus. Gefühlskino mal anders.
Michaela Grouls