„In der heutigen Zeit gibt es ein immenses Potenzial für alternative Zukunftsvisionen“


Alex Moussa Sawadogo © privat
Alex Moussa Sawadogo © privat

Stereotype beseitigen, neue Geschichten erzählen: Vom 14. bis 19. Oktober findet die 16. Ausgabe AFRIKAMERA statt – und bietet ein breites Programm aus Filmen, VR-Projekten, Panel-Diskussionen und vielem mehr. Wir haben mit dem Künstlerischen Leiter Alex Moussa Sawadogo und für einige Programmpunkte des Festivals auch mit Édith Nabos (Kuratorin/ Koordinatorin des Afro Future(s) Forum) und Florian Wachinger (Konzeption und Kommunikation, verantwortlich für die VR Lounge), vor dem Start gesprochen.

Vielleicht sprechen wir zuerst über die diesjährige Filmauswahl von AFRIKAMERA. Was zeichnet das Programm in diesem Jahr aus?
Alex Moussa Sawadogo: Wir sind wieder einmal sehr stolz auf unser Programm, das die Vielfalt und die Kraft der filmischen Kreativität des afrikanischen Kontinents widerspiegelt. Dass es uns gelungen ist, ein Programm rund um unser diesjähriges Thema zusammenzustellen, liegt auch an der Vielzahl an unterschiedlichen Stimmen einer neuen Generation afrikanischer Regisseur*innen, die sich weigern, sich auf ein einziges Filmgenre beschränken zu lassen.

2023 ist auch die letzte Ausgabe unter dem Themenschwerpunkt URBAN AFRICA, URBAN MOVIES. Hier wolltet ihr unter anderem versuchen, Zukunftsfragen aus nicht-westlich-zentrierter Perspektiven zu denken, eine „polyzentrische, vernetzte Welt der Zukunft, in der sich die innovativen Zentren der Welt nicht mehr nur im ‚Westen’ befinden, sondern auch im Globalen Süden, in den afrikanischen Metropolen“? Wie sieht euer Resümee hier nach vier Jahren aus?
Alex Moussa Sawadogo: In den letzten vier Jahren haben wir etwa 100 Filme gezeigt, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Und diese Filme wurden von Tausenden von Menschen sowohl in Berlin sowie darüber hinaus gesehen. Wir sind stolz darauf, dass diese Filme, die vielleicht nie ins Kino kommen, von einem Publikum gesehen werden, das sonst nicht mit Filmen aus dem Süden in Berührung kommt. Wir freuen uns außerdem, dass wir dem Berliner Publikum zeigen können, dass die afrikanischen Filme, bei denen es sich meist um Autorenfilme handelt, nicht nur afrikanische Zuschauer*innen, sondern die Welt an sich ansprechen, dass sie Sinn stiften durch ihre Menschlichkeit, durch Geschichten, die uns dabei helfen zu leben, zu verstehen und zu träumen.

Afrikamera hat sich von Anfang an dafür eingesetzt, mit gängigen Stereotypen über den afrikanischen Kontinent zu brechen. Was kann das Kino hier leisten – und hat AFRIKAMERA etwas dazu beigetragen, dass sich dieses Bild zwischenzeitlich vielleicht schon etwas gewandelt hat?
Alex Moussa Sawadogo: AFRIKAMERA gewinnt als Festival jedes Jahr mehr an Bedeutung, u.a. mit cineastischen Narrativen und Visionen in einer Stadt, in der das afrikanische Schaffen sich erst allmählich aus einem Nischendasein befreit. Der Zuspruch spiegelt sich in der Begeisterung in den Kinosälen und der Vielfalt des Publikums wider. Wir glauben, dass wir einen Großteil unserer Ziele erreicht haben, aber es gibt immer noch viel zu tun. Wir sind sicher, dass AFRIKAMERA gemeinsam mit dem Senat als unserem Förderer, dem Publikum und den Partnern weiterhin dazu beitragen wird, Berlin zu einer transkulturelle(re)n Stadt zu machen.

YEELEN © Afrikamera 2023
YEELEN © Afrikamera 2023

Was ist das AFRO FUTURE(S) FORUM und welchen Stellenwert nimmt es im Festival ein?
Édith Nabos: Das AFRO FUTURE(S) FORUM ist ein zweitägiges Programm im Sinema Transtopia, das von den drei jungen Filmemacher*innen, Kurator*innen und Afrofuturist*innen Kantarama Gahigiri, Maisha Maene und Adyam Tesfamariam kuratiert wird. Sie haben für Afrikamera eine schöne und reichhaltige Filmauswahl zu den Themen Afrofuturismus und magischer Realismus zusammengestellt, der, wie sie sagen, „die Verflechtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft afrikanischer und afro-diasporischer Identitäten erforscht“. Zudem geben sie uns die Chance, den Klassiker von Souleymane Cissé, YEELEN, wiederzuentdecken und in eine Reihe zeitgenössischer Kurzfilme einzutauchen. Die anschließende Paneldiskussion mit ihnen und anderen Filmemacher*innen bietet dem Berliner Publikum die Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen. 

Es gibt mehrere afrofuturistische Filmprogramme – sowie ein Panel, das sich dem Thema widmet. Inwiefern ist Afrofuturismus auch als Konzept auch jenseits des Filmmediums zukunftsweisend?
Alex Moussa Sawadogo: Die Kuratorin Adyam Tesfamariam sagt dazu Folgendes: „Afrofuturismus gibt uns einen Rahmen, um uns auf eine Reise durch Schwarze Kreativität, Befreiung, Widerstand und alternative Visionen zu begeben. In der heutigen Zeit gibt es ein immenses Potenzial für alternative Zukunftsvisionen jenseits der westlichen Perspektiven, die nicht nur eine Botschaft der Hoffnung, sondern auch geradezu für die Vision einer anderen Welt darstellen.” 

Was können die Besucher*innen im VR-Programm erwarten?
Florian Wachinger: In Zusammenarbeit mit INVR Berlin und dem südafrikanischen Non-Profit Inkubator ELECTRIC SOUTH werden zum dritten Mal VR-Produktionen vom afrikanischen Kontinent präsentiert. AFRICAN SPACE MAKERS (Vincenzo Cavallo, Kenia / Deutschland 2020) ist eine Reise durch fünf kreative Räume der kenianischen Metropole Nairobi und präsentiert einzigartige Kollektive in einer der pulsierendsten Metropolen Afrikas – von Fashion über Street Art bis hin zur Clubkultur. Der afrofuturistische Science Fiction-Film LET THIS BE A WARNING des Nest Collective (Kenia 2017) erforscht eine Zukunft, in der eine Gruppe von Afrikaner*innen die Erde verlassen hat, um eine Kolonie auf einem fernen Planeten zu gründen. Als ein ungebetener Gast auftaucht, sind sie beunruhigt… …    

Auf welche weiteren Highlights können sich die Besucher*innen des Festivals freuen?
Alex Moussa Sawadogo: Im Rahmen von AFRO FUTURE(S) FORUM gibt es am 18.11. eine Performance der Künstler*innen Astan Ka und Exocé Existe, begleitet vom Saxofonisten Darius Mick. Im Anschluss sind alle zur Festivalparty mit einem Dj-Set von RAFUSH eingeladen. AFRIKAMERA kooperiert zudem in diesem Jahr zum ersten Mal mit dem Sonderforschungsbereich 1265 „Re-Figuration von Räumen“ (TU Berlin): Gezeigt wird eine Episode der preisgekrönten Serie MAMI WATA: LE MYSTERE D’IVEZA. Im Anschluss an das Screening am 18.11. im Arsenal wird es eine Paneldiskussion zum Thema „Refiguration der Serienindustrien in Westafrika“ mit der Regisseurin Samantha Biffot und Séverine Marguin, Soziologin und Leiterin des Methodenlabs im Sonderforschungsbereich SFB (TU Berlin), geben.

Die Fragen stellte Marie Ketzscher

Die 16. Ausgabe AFRIKAMERA findet vom 14. bis 19. November im Kino Arsenal, BrotFabrik Kino, fsk Kino und Sinema Transtopia statt.