Kräfte, die sich reiben – Mittellange Filme auf dem 45. Filmfestival Max Ophüls Preis


Still aus dem Gewinnerfilm LAND DER BERGE © April April Filme / Olga Kosanovic
Still aus dem Gewinnerfilm LAND DER BERGE © April April Filme / Olga Kosanovic

Wenn der sogenannte abendfüllende Film als Königsdisziplin der Bewegtbildindustrie gilt und dem Kurzfilm eher die Gaukler-Rolle zukommt – mit welcher mittelalterkompatiblen Metapher könnte man den Mittellangen Film beschreiben? GesellInnenstück würde wohl passen – ein Begriff, der aber leider weder Glamour noch Kurzweil verspricht. Stattdessen brächte er die Bedingungen auf den Punkt, unter denen die meisten Filme mit einer Lauflänge von irgendwas zwischen etwa 15 und knapp 70 Minuten entstehen, es sind in der Regel Hochschulproduktionen. Da größere Format-Flexibilität in der digitalen Filmverwertungswelt bislang weit hinter den theoretischen Möglichen zurückbleibt, gelten Festivals hier nach wie vor als die einzigen verlässlichen Partner. Unter jenen, die Mittellangen Filmen ein eigenes Forum geben (siehe Liste auf mittellang.com), ragt das Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken traditionell heraus; schließlich gilt es als das wichtigste Nachwuchsfestival im deutschsprachigen Raum.

In diesem Jahr konkurrierten hier 11 mittellange Filme (eingereicht werden darf nur, was länger als 25 aber kürzer als 66 Minuten ist). Praktischerweise können die meisten noch bis zum 4. Februar abends über die Festival-Seite gestreamt werden (https://ffmop.de/programm/streaming). Im Gegensatz zu einzelnen Langfilmen aus dem Programm, gibt es für die kurzen und mittellangen Filme (inkl. einiger Kurzfilme aus dem Kinder- und Jugendfilmprogramm) nur ein pauschales Pass-Angebot für 25,- €, was aber zumindest rechnerisch mit gut 0,75 Euro pro Film als Schnäppchen gelten darf. Die angebotene Bandbreite ist groß und reicht von der bildgewaltigen Dystopie ANNA – A TALE FOR TOMORROW über die skurrile Charakterstudie THE FRENCH FLAMINGO FUCKER bis zu genau beobachteten Flucht- und Migrationsgeschichten (I SEE THEM BLOOM und BITTER). Wie unterschiedlich von gescheiterten Liebesbeziehungen erzählt werden kann, zeigen DAS ZITTERN DER AALE und DAMALS PLÖTZLICH JETZT. Im ersten Fall macht Regisseur und Drehbuchautor Maximilian Weigl Lust auf einen Münchener Sommer, in dem man sich barfuß durch die Arkadengänge der Kunstakademie schlendern kann. Ganz so leicht fühlt sich Kunststudentin Eli allerdings nicht, im Gegenteil. Sie arbeitet an den letzten Details ihrer Diplomausstellung, die sie nutzen möchte, um ihre unglückliche Verliebtheit in Stella mit Bildern und Texten zu verarbeiten – und dann endgültig hinter sich zu lassen. Wie es im Leben und eben auch im Film oft so ist: Die Vergangenheit meldet im unpassendsten Moment ihre Ansprüche an. Stella läuft Eli über den Weg und besteht darauf, Kaffeetrinken zu gehen.

Still aus DAS ZITTERN DER AALE © Apollonia-Film-GmbH
Still aus DAS ZITTERN DER AALE © Apollonia-Film-GmbH

Es entspinnt sich ein feinnerviger Zwist. Die zunächst so unbekümmert wie dominant auftretende Stella drängt Eli, ihr eines ihrer (schönen) Gedichte vorzulesen. Eli gibt nach, Stella erkennt sich in den Zeilen wieder und blafft schockiert: „Ich glaub schon, dass man checken muss, dass Kunst oft ’ne übergriffige Projektion auf Menschen ist“. Da trifft ein großer, freier, auch egozentrischer Wille auf Introvertiertheit, der nichts, als die Freiheit der Kunst bleibt, um Ordnung in ihren emotionalen Haushalt zu bringen. DAMALS PLÖTZLICH JETZT erreicht eine ähnliche Intensität, wenn auch auf ganz andere Art. Die Filmemacherinnen Melissa Isabell und Mo Jäger erzählen von dem Ex-Paar Pippa und Jael, die sich anlässlich einer Hochzeit zum ersten Mal nach der offenbar traumatischen Trennung wiedersehen. Das ganze findet im engsten Kreis, mitten auf einem See statt, in der bedrückenden Enge eines kleinen Party-Bootes. Die Weite des Sees, die Ruhe der Natur zeigen Pippa die Grenzen ihrer psychischen Belastbarkeit auf. Konträre Kräfte beginnen sich zu reiben, die Wunden, die ein queerfeindlicher Überfall hinterlassen hat, brechen wieder auf. Schnelle, virtuos geschnittene Flachbacks hier, genau komponierte, ruhige Bilder der Lähmung dort – dieses Wechselbad erwischt auch die Zuschauenden mit Wucht.

Sowohl der Jury- als auch der Publikumspreis, beide sind mit 5.000 € Preisgeld dotiert, gingen allerdings an einen leichter zugänglichen Film. Olga Kosanovićs LAND DER BERGE erzählt von dem alleinerziehenden Vater Vladmir, der mit seiner Tochter in Österreich bleiben möchte und in eine klassische bürokratische Falle gerät. Er braucht eine regelmäßige Arbeit, um das Bleiberecht zu erhalten, für das er wiederum eine regelmäßige Arbeit vorweisen muss. Die Österreicherin Kosanović hat in Hamburg u.a. bei Angela Schanelec studiert. Es liegt nicht fern, im ruhig-konzentrierten Stil ihres Films Parallelen zum Werke der prominenten Professorin auszumachen, was hier, in Verbindung mit „typisch österreichischem“ lakonischen Witz, besonders gut funktioniert. Das hat auch die Jury (Pola Beck, Julius Feldmeier und Mimi Klein) als „Geschenk“ empfunden und schrieb in ihrere Begründung, der Film „lächelt schief und schmerzt doch so schön“. 

Still aus MADE IN GERMANY © Iga Drobisz / ARD Degeto
Still aus MADE IN GERMANY © Iga Drobisz / ARD Degeto

Weitere starke mittellange Filme liefen auch, gewissermaßen „undercover“, wie Produzentin Solmaz Aziz auf einem Q&A scherzte, in einer anderen Sektion. MADE IN GERMANY verkauft sich als Serie, erzählt aber in sechs Folgen von 31-41 Minuten Länge in sich geschlossene Alltagsgeschichten aus Berlin. In ihnen treten, mal als Hauptcharaktere, mal nur als StatistInnen Coumba, Ani, Zehra, Jamila, Mo und Nikki auf. Sie sind Anfang 20 und in zweiter Generation in Berlin aufgewachsen. Statt zugespitztem Hauptstadt-Hype ist diverse Realität hier ganz selbstverständlich Programm, was unter anderem dazu führt, das endlich auch mal in einem Film am Abendbrottisch in mehreren Sprachen durcheinandergeredet wird, „so, wie es eben tatsächlich oft ist“, freute sich eine der Darstellerinnen. Der Hoffnung, dass die ARD-Produktion MADE IN GERMANY auch den Weg für andere mittellange Filme ebnen könnte, die zumindest im nichtlinearen Öffentlich-Rechtlichen Angebot eigentlich Heimat finden müssten, tritt Aziz allerdings mit Realismus entgegen. Der mittellange Film sei immer noch ein Hochschulformat und „stirbt leider danach irgendwie aus. Es gibt zu wenige Plattformen und Redaktionen, die darauf spezialisiert sind“. So kann man das Programm des Max Ophüls Festivals nicht zuletzt als Aufforderung an die Streaming-Anbieter verstehen, auch im Bezug auf die Filmlängen endlich vielfältiger zu werden.

DAS STREAMING-ANGEBOT DES 45. FILMFESTIVALS MAX OPHÜLS PREIS IST NOCH BIS ZUM ABEND DES 4. FEBRUAR AUF DER WEBSEITE DES FESTIVALS VERFÜGBAR

MADE IN GERMANY, Regie: Ozan Mermer, Duc Ngo Ngoc, Anta Helena Recke, Raquel Stern, Deutschland 2024, 6 Folgen, der Start ist für den Herbst in der ARD geplant