Archival Assembly #3 vom 17. bis 22. September 2024
Den Klängen der Archive zuhören
Im Filmmedium wird den Bildern häufig eine größere Bedeutung zugeschrieben, als dem Klang der Tonspuren. Das gilt auch für die Archivierung, Präsentation und Restaurierung von analogen Filmwerken in den Archiven. Das Festival Archival Assembly des Arsenal – Institut für Film und Videokunst hinterfragt in seiner dritten Ausgabe vom 17. bis 22. September 2024 diese Dominanz des Bildes und widmet sich vornehmlich einer akustischen Auseinandersetzung mit dem Filmerbe.
Dabei geht es nicht nur um die Tonqualität der Filmkopien oder deren mögliche Abwesenheit. Vielmehr wird der grundsätzliche Umgang mit dem Auditiven im Film untersucht, auch mit Blick auf transnationale Praktiken, die in Europa unüblich sind. Das Symposium im silent green Kulturquartier befasst sich beispielsweise mit Live-Übersetzungen und Kommentierungen von Filmvorführungen, der Erzeugung von Filmklängen jenseits von Sprache und Musik, der mobilen Tonaufnahme, welche den Dokumentarfilm in den 1960er-Jahren revolutionierte und der Rezeption der Filme in Radiosendungen oder Publikumsgesprächen. Die Reihe „Found Futures“ im Sinema Transtopia stellt kollaborative Projekte wie ein „AIDS-Filmarchiv“ des Berliner Filmverleihs Salzgeber vor, das filmästhetische und -politische Fragen insbesondere in Bezug auf das schwule Kino der 1980er Jahre verhandeln will.
Das Filmprogramm im Kino Arsenal setzt sich in neuen Filmrestaurierungen mit dekolonialen Perspektiven auseinander. Unter anderem wird der Film YOU HIDE ME des ghanaischen Regisseurs Nii Kwate Owoo gezeigt, in dem dieser im Jahr 1970 in die unterirdischen Depots des British Museum eingebrochen ist, um die dort lagernden afrikanischen Kunstwerke zu dokumentieren, die im 19. Jahrhundert von der britischen Kolonialmacht gestohlen worden sind. Im gleichen Programm ist auch die Premiere seines neuesten Films YOU CAN’T HIDE ME – THE RETURN OF THE LOOTED AND STOLEN ARTEFACTS IN THE BRITISH AND THE FOWLER MUSEUM IN THE US zu sehen, der aktuelle Rückgaben von einigen dieser Werke begleitet.
Henning Koch
Archival Assembly #3 findet vom 17. bis 22. September 2024 im Kino Arsenal, silent green Kulturquartier, Sinema Transtopia, migas, a listening bar, sowie in der Gerichtstraße 53 statt. Das komplette Programm findet ihr auf der Festival-Website.
NIGHTSHIFT
Regie: Robina Rose, Großbritannien 1981
Darum geht es:
Episoden einer Nachtschicht im Londoner Portobello Hotel. Spätnächtliche Begegnungen ereignen sich in der Lobby, wo die junge Rezeptionistin (gespielt von der Punk-Ikone Jordan) versuchen muss, ihre Augen offenzuhalten. Eine Punkband checkt ein und begibt sich direkt in die Hotelbar, wo sie einen Feueralarm auslöst, eine Barfrau beschwert sich bei einer Zigarettenpause auf der Treppe über die Gäste, Musiker veranstalten ein spontanes Konzert in der Lobby. Das war’s wohl mit der Nachtruhe … In der zweiten Hälfte wandert der Film durch die Zimmer der Hotelgäste und folgt deren nächtlichen Aktivitäten – untermalt vom traumwandlerischen Soundtrack des Penguin Cafe Orchestra.
Was du zum Film wissen musst:
Ein Film, wie im Halbschlaf, oder ein „Midnight Movie“ par excellence. Genauso, wie sich das grobe Bildkorn der größtenteils statischen 16mm-Aufnahmen nie im Stillstand befindet, wird es auch auf der Tonspur niemals vollkommen ruhig. Hintergrundgeräusche rücken in den Vordergrund: der klapprige Aufzug, Gesprächsfetzen der an der Rezeption vorbeilaufenden Besucher, das Knarzen der Dielen unter dem Teppich. Die kuriosen Gestalten, die kommen und gehen, wurden von prominenten Protagonist*innen der Londoner Avantgarde- und Gegenkultur verkörpert. Wenn man versucht, ihren Gesprächsfetzen zu folgen, bleiben einige Details materialbedingt unverständlich. Doch da der Film sich einem klaren Handlungsgerüst verweigert, sind die konkreten Inhalte und Kontexte hier nebensächlich und verschwinden geradezu im Rausch der Nacht.
Termin beim Archival Assembly #3:
Dienstag, 17.09.2024, 21:00 Uhr, Kino Arsenal
BADNAM BASTI
Regie: Prem Kapoor, Indien 1971
Darum geht es:
Sarnam Singh ist ein Busfahrer und charmanter Bandit, der bei einem Überfall die junge Bansari vor einer Vergewaltigung rettet. Sie bewahrt ihn vor dem Gefängnis und sie beginnen eine romantische Beziehung. Doch Sarnam wird wegen eines Bagatelldelikts verhaftet und verliert sie aus den Augen. Auf seinen Busfahrten lernt er den attraktiven Shivraj kennen, den er als Hilfsarbeiter anstellt und eine homoerotische Partnerschaft mit ihm eingeht. Bei einem Menschenhändler begegnet Sarnam zufällig Bansari wieder, die dort an einen seiner Bekannten verkauft wird. In ihrer Zwangsbeziehung sehnt sie sich nach Sarnam zurück, doch dieser ist zwischen seiner kriminellen Vergangenheit, Shivraj und ihr hin- und hergerissen.
Was du zum Film wissen musst:
Der Debütfilm des Regisseurs Prem Kapoor war ein Werk der sogenannten Indischen Neuen Welle und wird als der erste queere Film Indiens wahrgenommen. BADNAM BASTI galt über Jahrzehnte hinweg als verschollen, bis 2019 eine 35mm-Kopie im Archiv des Arsenal wiederentdeckt wurde. Diese war durch die indische Zensurbehörde jedoch drastisch gekürzt worden, von der ursprünglichen 132-minütigen Schnittfassung, die nicht mehr aufgefunden werden kann, sind hier lediglich knapp 83 Minuten geblieben. Vor allem gegen Ende wirkt das neorealistische Werk in der zensierten Fassung sehr fragmentarisch. Beim Archival Assembly wird nun die Premiere einer neu restaurierten Fassung mit 112 Minuten Laufzeit gezeigt, die aus dieser Kopie und einem unvollständigen Bild- und Tonnegativ aus dem National Film Archive of India erstellt wurde. Unter den neuen Szenen ist auch eine Sequenz, die nur noch auf der Tonspur erhalten geblieben ist.
Termin beim Archival Assembly #3:
Donnerstag, 19.09.2024, 21:00 Uhr, Kino Arsenal
DIVINE HORSEMEN: THE LIVING GODS OF HAITI
Regie: Maya Deren, USA 1947–1951, 1977
Darum geht es:
Die Chronik von Maya Derens Reisen nach Haiti dokumentiert die Rituale und Opferzeremonien des haitianischen Vodoun als religiöse Glaubensgemeinschaft, statt als Horrortropen, die diesen in der westlichen Popkultur häufig zugeschrieben werden. Kommentare aus dem Off stellen die spirituellen Figuren vor, welche vor allem in Form des Tanzes, der Performance und der Bewegung dargestellt werden. Bild und Ton vereinen sich zu einer faszinierenden Erforschung dieser Religion.
Was du zum Film wissen musst:
Die Avantgarde-Filmemacherin Maya Deren (MESHES OF THE AFTERNOON) drehte die Aufnahmen zwischen 1947 und 1951. Der Film basiert auf ihrem gleichnamigen Buch und wurde nach ihrem Tod durch Teiji & Cherel Ito fertiggestellt. Ihre ethnologische Analyse der Rituale und Bräuche wirkt respektvoll und wertet das Gezeigte nicht. Das macht DIVINE HORSEMEN: THE LIVING GODS OF HAITI zu einem wichtigen Dokument, das vor allem in den eindrucksvoll gefilmten Zeitlupenaufnahmen einen eigenen Rhythmus findet.
Termin beim Archival Assembly #3:
Sonntag, 22.09.2024, 18:30 Uhr, Kino Arsenal