Film Restored – Das Filmerbe-Festival vom 23. bis 27. Oktober 2024


TORRE BELA (1977) © Filmmuseum München

„Community“ – Kino als Gemeinschaftserlebnis

Film als audiovisuelles Medium erfordert in den meisten Fällen eine kollaborative Zusammenarbeit vor und hinter der Kamera. Angesichts der nahenden Schließung des Filmhauses am Potsdamer Platz zum Jahresende widmet sich die bisher dort ansässige Deutsche Kinemathek in der neunten Ausgabe des Filmerbe-Festivals Film Restored vom 23. bis 27. Oktober 2024 dem Thema „Community“. Es geht um aktivistisches Kino von Filmkollektiven, Kooperationen von Filmarchiven und Restaurierungsprojekten sowie der gemeinschaftlichen Erfahrung beim Filmeschauen im Kino. Denn auch der Veranstaltungsort im Kino Arsenal wird zukünftig aus dem Berliner Stadtzentrum in das silent green Kulturquartier im Wedding umziehen.

Im Fokus des Film Restored Festivals stehen zahlreiche Dokumentarfilme, in denen soziale oder politische Aspekte untersucht werden, unter anderem in Australien, den Vereinigten Staaten, Portugal oder Mexiko. LOUSY LITTLE SIXPENCE (1983) von Alec Morgan wirft einen kritischen Blick auf die Aktivitäten des „New South Wales Board for the Protection of Aborigines“, welche in den sogenannten „Stolen Generations“ resultierten. Im späten 19. Jahrhundert begann die Institution, Aborigines in Reservate umzusiedeln und Kinder unter Zwang aus den Communitys zu verdrängen und als Bedienstete in weiße Familien in den Städten zu vermitteln. Als in den 1930er Jahren bis zu einem Drittel der indigenen Kinder unter harschen Bedingungen zur Arbeit gezwungen wurden, bildeten sich Protestbewegungen gegen die Propaganda, welche die australische Regierung bei der Feier zum 150. Staats-Jubiläum verbreitete. Doch die Praxis wurde bis in die 1970er Jahre fortgesetzt. MAYDAY (1970) von der Studentenbewegung May First Media an der Yale University dokumentiert die Proteste gegen den Prozess von Mitgliedern der Black Panther Party. Aus der Perspektive der Protestierenden werden tanzende Hippies den Fernsehansprachen von Richard Nixon und Vorträge der Black Panther-Aktivisten dem brutalen Vorgehen der National Guards gegenübergestellt. In TORRE BELA (1977) begleiteten der deutsche Filmemacher Thomas Harlan und sein Kameramann Russell Parker die portugiesische „Nelkenrevolution“, bei der Bauern das Landgut eines Herzogs besetzt haben. Arturo Ripsteins LA CAUSA (1974) zeigt die Probleme der mexikanischen Bevölkerung in den USA, die dort als Chicanos ihre eigene Kultur bewahren wollten.

Doch auch der Zusammenarbeit bei der Archivierung und Restaurierung von Filmwerken und den Kinovorführungen als Gemeinschaftserlebnis wird große Bedeutung zugemessen. Als Beispiele dienen das fast vergessene Debüt BALLADE AUX SOURCES (1965) des mauretanischen Regisseurs Med Hondo, sowie die Podiumsrunde „Archiving queer – Queering archives“ über die Bewahrung des queeren Filmerbes. Der ikonische Schweizer New Wave-BDSM-Film MANO DESTRA (1986) von Cléo Uebelmann wird in einer neuen Restaurierung gezeigt und verdeutlicht, wie sich die Resonanz des Publikums über die Jahre verändern kann. Während das feministische Erstlingswerk mit einem Soundtrack der Band The Vyllies in den 1980er Jahren heftige Diskussionen ausgelöst haben soll, wirkt es aus heutiger Perspektive so gar nicht mehr kontrovers, sondern vielmehr wie ein biederes Kunstprodukt, dass höchstens noch in seiner stilisierten Strenge radikal ist.

Henning Koch

TAXI ZUM KLO

Regie: Frank Ripploh, BRD 1980

TAXI ZUM KLO (1980) © Salzgeber

Darum geht es:

Frank ist Lehrer an einer Berliner Schule und genauso „normal, alltagsmüde, neurotisch und polymorph-pervers“, wie seine Kollegen. So beschreibt er sich zumindest, wenn er auf Tour durch das Berliner Nachtleben geht. Als er eines späten Abends am Kinotresen Bernd kennenlernt, versuchen sie es mit einer klassischen Paarbeziehung. Doch immer wieder zieht es ihn hinaus in die Nacht, in die Klappen, Herrensaunen und Bars der Stadt. „Warum haue ich eigentlich immer dann ab, wenn’s eigentlich ganz nett und gemütlich ist?“, fragt er sich. Doch dann vermischt sich das Chaos ihrer offenen Beziehung erneut auf unterhaltsame Weise mit seinem spießigen Lehrerleben beim Kegeltreff oder im Schulunterricht.

Was du zum Film wissen musst:

Frank Ripploh zeichnet in TAXI ZUM KLO seine augenzwinkernden und verspielt-vulgären Streifzüge durch die Westberliner Szene vor der AIDS-Ära, die seinen heterosexuellen Kollegen und wahrscheinlich auch vielen homosexuellen Zeitgenossen vorenthalten geblieben sind. Dabei ist der Film auf selbstironische Weise auch autobiografisch geprägt. 1978 erschien Ripploh mit seinem öffentlichen Coming-out als schwuler Lehrer auf dem Cover der Zeitschrift Stern und spielte in einigen Filmen von Rosa von Praunheim, Ulrike Ottinger, Elfi Mikesch und Rainer Werner Fassbinder mit. Sein Regiedebüt TAXI ZUM KLO wurde 1981 mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnet und 2019 ohne öffentliche Förderung restauriert.

Termin beim Film Restored Festival 2024:

Freitag, 25.10.2024, 18:00 Uhr, Kino Arsenal

BALLADE AUX SOURCES

Regie: Med Hondo, Bernard Nantet, FR 1965

BALLADE AUX SOURCES © Ciné Archives, Paris

Darum geht es:

Der essayistische Film beginnt in Paris, wo der Filmemacher Med Hondo durch einen Zaun hindurch die Stadt als klaustrophobisches Geflecht von Menschen, Schaufensterpuppen, Bewegungen, Lichtern und der urbanen Infrastruktur beobachtet. Dann wird eine Reise über das Meer nach Nordafrika gezeigt. Die Kamera zieht unter anderem durch Algerien, Tunesien und die Sahara, wo arabische, römische, jüdische, muslimische und christliche Gruppierungen und Spuren der menschlichen Existenz wie Karawanen, kultivierte Palmenplantagen, imposante Städte, antike Ruinen und Ölfelder dokumentiert werden. Historische und poetische Gedanken aus dem Off erläutern die Geschichten und Identitäten der Orte.

Was du zum Film wissen musst:

BALLADE AUX SOURCES wurde über drei Monate hinweg in verschiedenen Regionen Nordafrikas kurz nach deren Unabhängigkeit gedreht. Da das Audio Equipment während der Reise gestohlen wurde, vertonten der mauretanische Regisseur Med Hondo und der französische Journalist und Archäologe Bernard Nantet ihren Debütfilm nach der Rückkehr nach Frankreich mit einem Text des Poeten André Laude und der Musik des guineischen Gitarristen Kante Facelli. Die einzigen erhaltenen 16mm-Elemente sind vom Essigsyndrom betroffen, weshalb die neue Restaurierung starke Schwankungen in der Bild- und Tonqualität aufweist.

Termin beim Film Restored Festival 2024:

Freitag, 25.10.2024, 10:00 Uhr, Kino Arsenal

I KNOW WHERE I’M GOING!

Regie: Michael Powell, Emeric Pressburger, UK 1945

I KNOW WHERE I’M GOING (1945) © BFI National Archive, The Film Foundation, ITV, Park Circus

Darum geht es:

Die 25-jährige Joan Webster macht sich auf den Weg von Manchester auf eine schottische Insel, um den reichen und weitaus älteren Sir Robert Bellinger zu heiraten, den sie noch nie getroffen hat. Wegen des stürmischen Wetters muss sie auf der Isle of Mull ausharren, bis der Bootsverkehr wieder aufgenommen wird. Dort lernt sie den charmanten Marine-Offizier Torquil MacNeil kennen, bei dessen Freunden sie Unterschlupf findet. Als der Sturm sich verschlimmert, verbringen sie mehr Zeit miteinander. Doch die selbstbewusste Joan scheint fest entschlossen zu sein, ihre Reise fortzusetzen und besticht einen Bootsmann, sie trotz des gefährlichen Seegangs überzusetzen.

Was du zum Film wissen musst:

Die temporeiche romantische Komödie wurde von dem ikonischen britischen Regieduo Michael Powell und Emeric Pressburger verfilmt. Gespickt mit zahlreichen visuellen Einfällen, wie den in das Setdesign integrierten Opening Credits oder einem Zylinderhut, aus dem plötzlich Rauch aufsteigt, als zum Schornstein einer Dampflok übergeblendet wird, unterstreicht I KNOW WHERE I’M GOING! den legendären Status der Filmemacher, denen Martin Scorsese kürzlich die Dokumentation MADE IN ENGLAND: THE FILMS OF POWELL AND PRESSBURGER gewidmet hat. Die Schauspielerin Wendy Hiller verkörpert Joan Webster als starke Frauenfigur, die ihrem eigenen Willen folgt und sich nicht den gesellschaftlichen Zwängen unterwirft.

Termin beim Film Restored Festival 2024

Sonntag, 27.10.2024, 19:00 Uhr, Kino Arsenal