75. Berlinale: Das sind die Gewinner der Berlinale Shorts

Zwischen Nihilismus und Hommage
Au revoir et bienvenue Sartre! Caroline Poggi und Jonathan Vinel verleihen dem existentialistischen Geworfenheits-Begriff gleich noch einmal eine ganz neue Bedeutung: In ihrem 3D-animierten COMMENT ÇA VA? (HOW ARE YOU?), der bei der Berlinale 2025 zum Europäischen Kurzfilmkandidaten gekürt wurde, stranden verschiedene Tiere auf einer Insel, werden random dorthin katapultiert, und müssen nun klarkommen. Das Ende der Welt ist längst eingeläutet, so viel begreift man gleich. Der Löwe trinkt gern an der Klippe und der neu angekommene Pinguin möchte sich endlich spüren und seine Gewaltfantasien ausleben. Er mordet dann auch mal. Aber sie sind ja alle nicht nur Tiere, sondern auch Metaphern; und so kann ihnen der Kopf auch wieder angenäht werden. (Übrigens sind sie allesamt knuddelig: Vinel und Poggie führen hier die niedliche Disney-Pixar-Welt in jedem Fall ad absurdum). Die Tiere gucken viel aufs Meer, reden ohne Filter und Höflichkeitsanwandlungen über Geilheit oder Depression. Der Elefant liest außerdem gern aus der Bibliothek vor, die neben philosophischen Klassikern auch Manifeste beinhaltet. Zwischendurch lädt er sich seine Nicht-Artgenossen ins Studio zum Interview und sendet ihre Lebensgeschichten vor dem Katapult-Moment mit Lautsprechern verstärkt über das Meer; nur sie selbst hören zu. Dabei changiert der Ton von unterhaltsam über philosophisch bis aktionistisch – das ist irgendwie auch die Tonalität des Films, der vielleicht auch ein bisschen vom Festhalten an den guten Ideen erzählen will, selbst wenn man im mentalen Katastrophenmodus versinken möchte.

Vom Auseinanderfliegen der Welt erzählt auch Yoriko Mizushiris FUTSO NO SEIKATSU (ORDINARY LIFE), der den Silbernen Bären der Jury holte. Wenn die japanische Animation eins gepachtet hat, dann ist es der genaue Blick auf die Absurdität unserer alltäglichen Handlungen (siehe bspw. Atsushi Wada) – und ORDINARY LIFE spitzt diese Absurditäten noch weiter zu und stellt sie in neue (Sinn)zusammenhänge: Das Öffnen der Rollladen wird zum Hochklappen des Hunde-Lids, der Lachs flutscht vom Nigiri, schließlich sind alle Körper und Gegenstände in Auflösung bzw. Neuzusammensetzung begriffen. Und zwischendrin die fliegende Tüte auf dem Bürgersteig, die ja schon bei AMERICAN BEAUTY die Schönheit des Profanen und Vergänglichen verkörperte. Auch ORDINARY LIFE balanciert auf dieser Kitsch-Grenze, aber gekonnt.

Währenddessen holten zwei dokumentarische Kurzfilme die Hauptawards: Quentin Miller erhielt den Berlinale Shorts CUPRA Filmmaker Award für KOKI, CIAO und LLOYD WONG, UNFINISHED von Lesley Loksi Chan bekam höchstverdient den Goldenen Bären verliehen. Während die Animationsfilme Gegenwart stilisierten und auseinandernahmen, blickten die Dokumentarfilme mit großem Gewinn in die Vergangenheit, verfremdet natürlich. KOKI, CIAO kommentiert anhand des traurigen Vogelschicksals von Koki, dem Lieblingskakadu von Tito, jugoslawische Staatsgeschichte auf kurzweilige und lustige Art und Weise. Dabei nimmt er gekonnt Heldenverehrung, Selbstinszenierung (Sophie Loren! Ceaușescu! Indira Gandhi!) und bisweilen Infantilisierung – woher kommt die Obsession autoritären / totalitären Staatsoberhäuptern mit bestimmten Haustieren? Geht es am Ende darum, sich als besonders human und humorvoll zu präsentieren? – auf die Schippe. Koki spricht nämlich ganz direkt mit Erzählerstimme zu uns; anfangs könnten wir fast noch glauben, dass es ihn noch gibt. Aber der Vogel, den nostalgische Tourist*innen immer necken und fotografieren wollen, der ist vermutlich gar nicht das echte Tito-Haustier. Der ist vermutlich eher tot wie sein Herrchen. Alles immer noch gestellt.

LLOYD WONG, UNFINISHED ist trotz aller humorvollen Momente wohl der ernsteste Gewinner der Shorts (und konnte sich übrigens auch über einen Teddy Award freuen). Er verhandelt die Aids-Krise, die Krankheit und schließlich den Tod des schwulen chinesisch-kanadischen Filmemachers Lloyd Wong. Dafür nutzt Lesley Loki Chan nicht nur Fotos und Filmaufnahmen, die das Voranschreiten seiner Krankheit dokumentieren, sondern holt ihn mit seiner sprühenden Energie auch selbst auf die Leinwand zurück: Lloyd Wong hatte nämlich ein eigenes Video-Projekt erfunden, bei dem den Alltag eines Aids-Kranken in einer Mischung aus Reality-TV-Format und Kommentar in den Vordergrund rückte. Chan bringt dieses verschollen geglaubte Material wieder an die Oberfläche und das Wunderbare entsteht: Wong ist kein Objekt, kein Opfer, sondern ein Subjekt, auch beim Sterben voller Humor und Süffisanz, er erzählt die eigene Geschichte, in der Krankheit, Migration und ja, auch Rassismus, eng verwoben sind. Ein Gegenstück zum Tabu um die Krankheit, das auch die homophobe Berichterstattung der Zeit mitinformierte. Aber bei aller Unterhaltung ist der Moderator und Protagonist Lloyd Wang natürlich auch voller Traurigkeit und Wut über das Todesvirus, das ihn so jung sterben lässt. Und so konfrontiert er die Zuschauer*innen unter anderem auch mit einer Anleitung zum Infusion-Legen, dem Tabletten-Einnahme-Prozedere etc. Mit großer Offenheit zeigt Lesley Loksi Chan die Selbstermächtigung eines Filmemachers, der sich nicht einfach in sein Schicksal fügt, und verwandelt sie mit großer Empathie in eine ganz besondere Hommage.