„Poesiefilme haben immer wieder auf die aktuelle Lage und besondere Ereignisse reagiert“ – Interview mit Thomas Zandegiacomo Del Bel


© Natalia Reich
© Natalia Reich

Das ZEBRA Poetry Film Festival wird 15

Vom 5. bis 8.6. findet ein ganz besonderes Filmgenre sein Publikum und neue Verehrer*innen – da geht nämlich das 15. ZEBRA Poetry Film Festival über die Bühne, und zwar im silent green. BFF-Chefredakteurin Marie Ketzscher hat mit dem Künstlerischen Leiter des Festivals, Thomas Zandegiacomo Del Bel, gesprochen – über das, was den Poesiefilm ausmacht, welche Trends es 2025 in Sachen Poesie und Film gibt, und natürlich auch darüber, was das Publikum vom diesjährigen ZEBRA erwarten kann.

Über 20 Jahre ZEBRA! Wie hat sich der Poesiefilm seit 2002 über die Jahre verändert?
Thomas Zandegiacomo Del Bel: Wir haben zwar 2002 im Rahmen des Poesiefestival Berlin 2002 erstmal den ZEBRA Poetry Film Award (so hieß er damals noch) veranstaltet; dieses Jahr feiern wir die 15. Ausgabe. Jedoch fand ZEBRA bis 2016 alle zwei Jahre statt – ab 2006 zum ersten Mal im Herbst.

Die Poesiefilme haben immer wieder auf die aktuelle Lage und besondere Ereignisse reagiert. Die technischen Voraussetzungen haben sich in den letzten 25 Jahren extrem geändert. Erhielten wir im ersten Jahrzehnt noch analoge Filme und Videos, so sind es heute nur noch digitale Dateien. Alles wurde digitaler. 2025 erhielten wir natürlich auch die ersten Filme, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz entstanden sind.

Aufgrund der besseren Technik, die vielen Filmemacher:innen nun zur Verfügung steht, entstanden viele hervorragende Animationen, Spiel- und Dokumentarfilme. Immer mehr Dichter:innen und auch Spoken Word Artists entdecken den Poesiefilm als neue Ausdrucksform. Dies führt auch dazu, dass sich die Gemeinschaft der filmschaffenden Dichter:innen und der Poesiefilmfestivals vergrößert hat. Man kann schon sagen, dass in letzten Jahrzehnten der Poesiefilm als Genre stärker wahrgenommen wird.

Das Genre des Poesiefilms ist ja sehr spezifisch. Was macht einen richtig guten Poesiefilm aus?

Text, Bild und Ton sollten eine harmonische Einheit bilden. Selbstverständlich liegt unser Augenmerk auf dem Gedicht. Dennoch sollte es in einer würdigen Form umgesetzt und nicht nur illustriert werden. Es kommt also darauf an, wie der Text im Film audiovisuell in Szene gesetzt wird. Ein gutes Voice Over oder ein gelungener Schriftfilm können ebenso überzeugend sein. Die Filmemacher:innen sollte sich in der Vorbereitung auch etwas Zeit lassen, um das für passende Gedicht zu finden. Wir empfehlen hier einen Blick in unsere Plattform www.lyrikline.org.

NOSTALGIA läuft im Wettbewerb © Zebra
NOSTALGIA läuft im Wettbewerb © Wainer Méndez

Ihr hattet 1000 Einreichungen – lediglich 21 haben es in den Internationalen Wettbewerb geschafft, außerdem zeigt ihr zahlreiche Filme in vier kuratierten Programmen, Kinder- und Jugendfilm. Nach welchen Kriterien wählt ihr die Filme aus?

Wir zeigen über 50 Filme in vier Programmen. Daneben haben wir noch das Programm „Spoken Word“ für Jugendliche und den Zebrino Wettbewerb für Kinder und Jugendliche. Die Auswahl geschieht in zwei Stufen. Zuerst trifft das Zebra-Team eine Vorauswahl für die Programmkommission. In dieser Vorauswahl werden Filme aussortiert, die nicht auf Gedichten basieren und somit nicht unseren Einreichkriterien entsprechen. Eine Programmkommission bestehend aus Filmemacher:innen, Dichter:innen und Festivalmacher:innen wählt die Filme fürs Festival aus und entscheidet, welche Filme in den Internationalen Wettbewerb und die Programme kommen. Für die Kinder- und Jugendsektion haben wir eine eigene Kommission, die von der Poetischen Bildung des Haus für Poesie zusammengestellt wird.

Gibt es Filme aus den letzten 20 Jahren, die du weiterhin sehr präsent hast, die dich noch beschäftigen?

Ja, solche Klassiker gibt es. Das Haus für Poesie veranstaltet immer mal wieder thematische Filmprogramme, bei denen Wettbewerbsfilme aus den vergangenen Jahrzehnten gezeigt werden. Überdies kuratieren wir Programme oder Ausstellungen für andere Institutionen weltweit. So hat das Haus für Poesie in Amerika, Asien oder Europa zahlreiche Programme gezeigt. Der Poesiefilm altert also recht gut. Nicht zuletzt weil er in vielen Fällen dem experimentellen Film oder der Videokunst ähnlich ist. Er ist abstrakt, metaphorisch und oft verblüffend zeitgemäß.

Ihr habt Programme für fast alle Altersstufen – ist der Poesiefilm besonders geeignet für eine breite Zielgruppe?

Im gewissen Sinne schon, da einige der Filmemacher:innen mit verbreiteten Formen wie Spoken Word oder vertonter Lyrik arbeiten. Mit einer möglichst breiten Mischung aus Spiel- und Dokumentarfilmen, Experimentalfilmen sowie Animationen wollen wir die enorme Bandbreite des Poesiefilms abbilden, der mitunter auch niedrigschwellig sein kann.

REQUIEM FOR EVE © Zebra Poetry Film Festival
REQUIEM FOR EVE © Anna-Maria Chernigovskaya

Was ist auffällig am Jahrgang 2025 – gibt es Gemeinsamkeiten und rote Fäden zwischen den Filmen?

Viele der gezeigten Filme spiegeln die politischen Spannungen unserer Zeit wider – geprägt von dem, was Menschen weltweit bewegt. Die Themen sind so vielfältig wie aktuell: Frauenrechte und ihre Verletzung, Rassismus und koloniale Machtstrukturen, sexuelle Selbstbestimmung, Umweltzerstörung im Anthropozän und die spürbaren Folgen des Klimawandels. Ein besonders aktueller Fokus liegt auf der Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz – sei es als kreatives Werkzeug oder als Gegenstand kritischer Reflexion über Chancen, Risiken und ethische Fragen.

PUSSY © Zebra Poetry Film Festival
EVERYONE WANTS TO HAVE A TIGHT PUSSY © Sofia Auza

Was können die Besucher*innen in den weiteren Programmen sowie im Rahmenprogramm erwarten?

Das ZEBRA Poetry Film Festival 2025 in Berlin lädt Kinder, Jugendliche und Erwachsene ein, die Welt der Poesiefilme zu entdecken. Im Zebrino-Programm wählen Berliner Schulklassen im Alter von 9 bis 11 Jahren den besten internationalen Kinder-Poesiefilm. Parallel dazu erleben Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren im Format ZEBRINO SPOKEN WORD deutsch- und englischsprachige Spoken Word-Kurzfilme mit anschließenden Diskussionen.

Im Internationalen Wettbewerb konkurrieren 21 Filme aus über 1.000 Einsendungen aus mehr als 90 Ländern um drei renommierte Preise. Die Beiträge thematisieren gesellschaftliche Normen, postkoloniale Strukturen und persönliche wie politische Tabus.

Begleitprogramme wie HISTORIES, CONNECTIONS, VOICES und HAUNTINGS bieten rund 50 Filme, die sich mit Identität, Erinnerung, Widerstand, Beziehungen und Vergänglichkeit auseinandersetzen. Die Filme verbinden Lyrik mit Animation, Spiel- und Experimentalfilm und eröffnen neue Perspektiven auf Sprache, Geschichte und Emotion.

Während des Zebra Poetry Film Festival findet auch das Poesiefestival Berlin mit zahlreichen Veranstaltungen statt. Am Samstag, den 7.6., gibt es ab 14 Uhr auf dem Gelände des silent green ein offenes Familienprogramm mit der Lyriklounge und Sommerhaiku mit Drucken. Die Lesungen im Grünen und die Growing Sessions runden am Samstag das Programm ab. Am Sonntag, dem 8.6., wird ab 14 Uhr ebenfalls ein vielfältiges Programm den Lesungen im Grünen und den Growing Sessions angeboten. Das Familienprogramm, die Growing Session und die Lesungen im Grünen sind offen und kostenfrei.

Gibt es Special Guests und Koryphäen, auf die man sich schon freuen kann?

Wir erwarten viele Filmemacher:innen und Dichter:innen. Unter ihnen werden Dichter:innen, wie z. B. Ozan Zakariya Keskinkılıç, David Odiase, Paul Bogaert, Ariane von Graffenried, Odile Kennel, Clemens Schittko oder Madara Gruntmane anwesend sein, die teilweise auch auf dem Poesiefestival Berlin oder bei Vocations – open space auftreten werden. Bei der Preisverleihung werden wir den irischen Singer-Songerwriter A.S. Fanning als Music Act begrüßen dürfen.