“Hail” von Amiel Courtin-Wilson


"Hail": Dialog-Spuren, die im Interview mit dem 50jährigen Schauspieler Jones entstanden, werden über abgedrehte Szenen gelegt. Foto Around The World In 14 Films

"Hail": Dialog-Spuren, die im Interview mit dem Schauspieler Jones entstanden, werden über abgedrehte Szenen gelegt. Foto: Around The World In 14 Films

Unterdruck

Ludwig Wittgenstein schrieb in seinen „Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie“: „Vorstellung und Intention. Auch insofern ist vorstellen dem Schaffen eines Bildes zu vergleichen, als man sich nicht den vorstelle, dem das Vorstellungsbild ähnlich ist, sondern den, den man sich vorstellen will.“ Daniel P. Jones spielt in Amiel Courtin-Wilsons Drama „Hail“ nur eine leicht abgeänderte Version seiner selbst. Dissonant und brutal, stellenweise unerwartet zart, lässt er sich in diesem Streifen mit extremen Close-Ups und alptraumhaften Sequenzen verarbeiten. Dabei wird verfeinert, was mit „Chasing Buddha“ und „Cicada“ begann: Dialog-Spuren, die im Interview mit dem 50jährigen Schauspieler Jones entstanden, werden über abgedrehte Szenen gelegt. Diese Technik ermöglicht das leichtere Eintauchen in einen unruhigen Geist und veranschaulicht manchmal überdeutlich die recht verstörenden Erfahrungen, die Jones im Laufe seines Lebens machte. Jedoch geht es recht konventionell los, denn Danny (Jones) wird aus dem Gefängnis von Melbourne entlassen. Er kehrt nach Hause zurück, um Leanne (mit beeindruckender Ehlichkeit von Leanne Letch gemimt) endlich in seine Arme zu nehmen.

Nach dem kleinen Glück kommt recht bald die böse Außenwelt mit ihren falschen Freunden, ihren Drogen- und Alkoholproblemen. Ein Heroin-Dealer (Dario Ettia) aus Leannes Vergangenheit taucht auf und will Geld. Jetzt endet das Narrativ, zumindestens der konventionelle Gebrauch einer Geschichte, die den Zuschauer von Punkt A zu Punkt B führt. Eine Wall of Sound presst den Interessierten in eine Reihe lose gekoppelter Visuals, die mit wohl lyrisch gemeinten Passagen der Stille gebrochen ist. Jetzt erleben wir Zerstörung, nicht in einem moralischen oder soziologischen, sondern in einem ontologischen Sinne. Sie ist jenseits von Gut und Böse, jenseits gesellschaftlicher Moral und bleibt so jenseits des herrschenden Realitätsprinzips, das von diesen Bildern abgelehnt und gesprengt wird. Größtenteils bleibt man wegen Dannys jenseitigen Augen am Ball und verzeiht Kameramann Germain McMicking den ein oder anderen Ausrutscher. All das ist ein wenig zu prätentiös geraten, aber mit ein wenig Geduld erschaffen die sensorischen Metaphern genügend Unterdruck, um Dannys zerfetzten Geist ein Gewicht zu geben. Leider verdunstet auf Grund des Unterdrucks die Erinnerung an diesen Film so schnell, dass am Ende der Anfang nur in Erinnerung bleibt, weil man ähnliche Bilder meistens aus unterdurchschnittlichen Spätabenddokus des Privatfernsehens kennt.

Joris J.