15 JAHRE von Chris Kraus
Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufzugeben
Vergebung ist nicht leicht. Vor allem, wenn man für etwas büßen muss, dass man nicht getan hat. Auch Jenny fällt das schwer. Immer wieder wird sie von den Geistern ihrer Vergangenheit auf die Probe gestellt. Chris Kraus zeigt in 15 JAHRE, wie es Jenny von Loeben, die er in seinem früheren Film VIER MINUTEN zum Leben erweckt hat, nach ihrer Haft ergeht. Wird sie ihren Weg zurück ins Leben finden?
Jenny wohnt in einer religiösen Therapie-Wohngruppe, über die sie als Putzkraft arbeitet. Hier hat sie einen geschützten Rahmen in dem sie zur Ruhe und zu sich selbst finden kann. Doch dann soll sie im Konservatorium putzten. Eine Musikhochschule. Jenny weigert sich, das ist zu nah an ihrer Vergangenheit. Als Kind hat sie am Klavier sämtliche Preise abgeräumt. Zu Beginn ihrer Haftzeit hat sich ihr eine alte Klavierlehrerin angenommen, die ihre Leidenschaft für die Musik wieder geweckt hatte. Jetzt spielt sie nur noch Orgel für ihre kleine Wohngruppe. Jenny hat keine Wahl, sie muss putzen und trifft prompt einen alten Weggefährten. Harry Mangold war auch ein Klavierwunderkind, hatte allerdings immer das Nachsehen, sobald Jenny am selben Wettbewerb teilnahm. Er war schon immer ein großer Fan und möchte Jenny dazu überreden zusammen mit Omar, einem syrischen Flüchtling, der bei ihm wohnt, an einer Talentshow teilzunehmen. Sie lehnt ab, bis sie erfährt, dass der Moderator der Show kein geringerer ist, als ihr Exfreund, der die Tat begangen hat, für die sie 15 Jahre im Gefängnis saß.
Chris Kraus zeigt hier, wie schwer es sein kann die Vergangenheit loszulassen. Immer wieder verfällt Jenny in ihr altes Muster: Fühlt sie sich angegriffen, schlägt sie wortwörtlich um sich. Durch Omar, mit dem sie an der Talentshow „Unicorn“ teilnimmt, eröffnet sich ihr eine schöne neue Welt. Trotz seines harten Schicksals sprüht er über vor Optimismus und Lebensfreude. Lässt sich Jenny davon anstecken?
So lang du lebst verschwende dich
Die Beziehung, die sich zwischen den beiden aufbaut, ist herzerwärmend. Das sind, neben den Musikeinlagen, die stärksten Szenen des Filmes. Schön ist auch die überspitzte Darstellung der Talentshow, an der nur behinderte Menschen teilnehmen dürfen. Hier wird knallhart gezeigt, wie sich solche Shows am Leid der Teilnehmer ergötzen und damit Quote machen. Leider trägt das alles nicht über die vollen zweieinhalb Stunden. Der rote Faden wird zu oft aufgedröselt und findet am Ende nicht mehr zusammen. Zu viele Nebenaspekte, die an sich interessant sind, lenken von der Haupthandlung ab. Die Hauptfiguren sind fesselnd inszeniert und dargestellt (vor allem Hannah Herzsprung als Jenny), einige Nebenfiguren verkommen allerdings zu billigen Klischees.
Man muss den Vorgänger 4 MINUTEN nicht gesehen haben um 15 JAHRE zu schauen. Die Hingabe von Traude, der Klavierlehrerin aus dem Knast, ihr Vertrauen und ihre Freundschaft, die sie in eben diesem ersten Film schenkte, scheinen nichts bei Jenny hinterlassen zu haben. Auch das Finale, der großartige Auftritt bei ‚Jugend musiziert‘, nachdem Jenny verhaftet wurde, verpuffte wohl im Äther. Nicht einmal Harry, der zur selben Zeit aktiver Musiker war, hat davon gehört. Vielleicht ist das die Aussage des Films? Manche Menschen können ihrem Schicksal nicht entkommen, so sehr sie sich bemühen. Aber so lang du lebst, verschwende dich (So der Titel eines Songs den Jenny und Omar in der Show performen), denn wenn Jenny in der Musik aufgeht und dieses Gefühl für einen Moment mit einem geliebten Menschen teilen kann, ist alles andere egal.
Alles in allem ist hier ein gefühlvoller, anrührender Film über den langen Weg des Vergebens und Vergessens entstanden. Zu viele Details und Verstrickungen lassen allerdings die Kernaussagen verschwimmen.
15 JAHRE; Regie: Chris Kraus; Darsteller_innen: Hannah Herzsprung, Hassan Akkouch, Christian Friedel, Albrecht Schuch