„Crystal Swan“ von Darya Zhuk



Die Regisseurin Darya Zhuk beschreibt Velya als individualistische und damit sehr amerikanische Figur, die ihrer Zeit voraus ist und Figuren gegenübersteht, die dem Kollektivismus verhaftet sind. „Crystal Swan“ lebt von ebendiesen Gegensätzen und zeichnet so ein glaubwürdiges und vielschichtiges Bild des postsowjetischen Belarus der Neunzigerjahre, eines gespaltenen Landes im politischen Umbruch.
Darya Zhuks Langfilmdebüt hält die Balance zwischen Komik und Tragik, etwa wenn Velya im Küchenschrank hinter dem Geschirr nach ihrem Diplomzeugnis sucht, das ihr keinen Job verschafft hat, oder wenn sie ein Armani-Etikett in irgendein billiges Shirt näht und dann vergeblich versucht, es zu verkaufen.

Die russische Schauspielerin Alina Nasibullina („How Viktor ‚The Garlic‘ Took Alexey ‚The Stud‘ to The Nursing Home„) trägt den Film. Sie überzeugt und berührt in lauten und leisen Momenten, ob als verletzte oder als trotzig-unbeeindruckte, als entschlossene, enttäuschte, sensible junge Frau oder coole Rebellin. Ihre Velya lässt sich nicht beirren, egal, was kommt. Ihr Freiheitsdrang und ihr Wille lassen sich nicht brechen. Die Kamerafrau Carolina Costa hat Bilder eingefangen, die sich einprägen. Velya, die als bunte DJane zwischen ausrangierten, riesigen Statuen von Marx und Lenin auflegt, bleibt im Gedächtnis.

Darya Zhuk verließ ihr Heimatland Belarus im Alter von 16 Jahren, studierte in Harvard und an der Columbia University und lebt heute zwischen Minsk und Brooklyn. Als Wandlerin zwischen beiden Ländern ist sie mit den Gegensätzen ebenso vertraut wie mit den Hoffnungen und Träumen von MigrantInnen. Velyas Traum von einem besseren Leben ist universal und lässt sich auch auf die Situation von MigrantInnen anderer Nationen und anderer Zeiten übertragen.

Mit „Crystal Swan“ ist Darya Zhuk ein außergewöhnlicher, zugleich humorvoller und erschütternder Film gelungen, der als erster belarussischer Film seit 22 Jahren für den Oscar 2019 als bester fremdsprachiger Film eingereicht wurde – zu Recht.

Stefanie Borowsky

Crystal Swan„, Regie: Darya Zhuk; DarstellerInnen: Alina Nasibullina, Yuriy Borisov, Ivan Mulin, Svetlana Anikey.

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