„Crystal Swan“ von Darya Zhuk


„Crystal Swan“ feierte seine Weltpremiere 2018 beim Internationalen Filmfestival Karlovy Vary.© Loco Films

Velyas American Dream

Minsk, 1996. Twentysomething Evelina (Alina Nasibullina), genannt Velya, sticht mit ihrer blauen Perücke, dem blauen Schal und dem knallroten Mantel schon in der ersten Szene des Films farblich aus dem Grau ihrer Umgebung heraus – und wird im Bus von zwei jungen Männern ausgelacht und als Clown und Freak betitelt. Tagsüber arbeitslose Juristin und nachts schillernde DJane, träumt Velya davon, dem tristen Alltag im postsowjetischen Belarus zu entfliehen und nach Chicago auszuwandern, in die Geburtsstadt der House Music. House bedeutet für Velya Freiheit. Doch um ein Visum für die USA zu ergattern, ist Kreativität gefragt. Mit finanzieller Unterstützung ihres ständig zugedröhnten Freundes Alik (Yuriy Borisov) besorgt sie sich auf einem Flohmarkt eine gefälschte Arbeitsbescheinigung, mit der sie sich im Visumsantrag als Angestellte einer Kristallfabrik in der Provinz ausgibt. Dass sich die US-Botschaft unter der Telefonnummer, die Velya auf dem Antrag angeben musste, melden will, um die Angaben zu überprüfen, erfährt Velya erst, als sie den Antrag schon abgegeben hat. Die Suche nach dem Besitzer des Telefonanschlusses führt Velya in die tiefste belarussische Provinz und zu einer Familie, die gerade die Hochzeit des Sohnes (Ivan Mulin) vorbereitet. Das Telefon der Familie, das jederzeit klingeln könnte und das Velya bewachen will, fällt in der düsteren Wohnung genauso auf wie Velya: Es ist knallrot wie ihr Mantel.

Während Velya sich nach Selbstverwirklichung und einem neuen Anfang in den USA sehnt, plädiert ihre Mutter (Svetlana Anikey), die in einem Museum und gleichzeitig an ihrem Karma arbeitet, dafür, im Heimatland zu bleiben und die eigene Geschichte und Identität nicht einfach aufzugeben. Das Vaterland zu lieben sei eine spirituelle Übung, ist sie überzeugt. Mit Velyas Träumen kann sie überhaupt nichts anfangen und wünscht sich stattdessen, dass ihre Tochter heiratet.

Doch Velyas Pläne stoßen nicht nur bei ihrer yogabegeisterten Mutter, sondern auch in der konservativen Dorfgemeinschaft auf Unverständnis. Ivan, Sohn der Familie und ehemaliger Soldat, sagt, in der Provinz sei man zuverlässig und renne nicht einfach weg in die USA. Früher, als es noch verbindliche Regeln gab, an die man sich halten musste, sei alles besser gewesen.

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