„Karera ga Honki de Amu toki wa“ („Close Knit“) von Naoko Ogigami


„Close Knit“ ist im englischen ein feststehender Ausdruck und bedeutet soviel wie „engmaschig“ oder „eng verbunden“ und entsprechend ist Naoko Ogigamis „Close Knit“ ein Film, über das, was ein enges Familiengefüge ausmacht: Liebe, Achtung und Respekt. Es ist aber auch ein Film über Transsexualität und die Rolle der Frau innerhalb der japanischen Gesellschaft. Denn entgegen dessen, was das japanische Showbusiness suggeriert, werden Lebenskonzepte abseits der so genannten Norm alles andere als akzeptiert und auch wenn Travestie dort kulturell auf eine lange Tradition zurückblickt, wie beispielsweise im Kabuki-Theater, wo alle Rollen – auch die weiblichen – von Männern interpretiert werden, sind Transsexuelle alles andere als gesellschaftlich anerkannt.

Die japanische Gesellschaft ist immer noch sehr patriarchal geprägt, es geht sehr viel darum in ein bestimmtes Bild zu passen, eine bestimmte Rolle zu erfüllen und nicht hervor zu stechen und noch heute wird den Frauen vor allem die Rolle der liebenden und fürsorgenden Mutter zugesprochen, die Rinko als Transfrau ja zur Perfektion beherrscht. Es gibt sie zwar die Frauen, die Karriere machen – diese bleiben aber dann zum Großteil kinderlos oder sogar partnerlos. Oder scheinen an den Ansprüchen, die an sie im Beruf und im Privatleben gestellt werden, nur scheitern zu können.

Ein wenig zu kurz und zu einseitig kommt daher die Rolle von Rinkos Mutter Hiromi daher, in der sich auch die Überforderung alleinerziehender, berufstätiger Mütter spiegelt, deren Arbeits- und Lebensalltag kaum mit der Erziehung eines Schulkindes zu koordinieren ist. Zum Arbeitsalltag gehört in Japan immer noch sehr oft auch der anschließende Ausflug mit dem Chef und den Kolleginnen und Kollegen in eine Bar, wobei nicht weniger getrunken werden sollte als der Chef vormacht. Nicht teilzunehmen verbietet die Höflichkeit und ist keine Option. Solche Abende enden meistens eher spät. (Der Anblick völlig betrunkener, schlafender Männer und Frauen in Business-Kleidung auf Parkbänken und U-Bahnhofstreppen ist in Japan keine Seltenheit.) Am nächsten Tag geht es dann wieder ins Büro und das Spiel beginnt von vorne.

Ohne Partner oder Partnerin ist ein solcher Arbeitsalltag mit Kind nicht zu meistern. Leider wird dieser Aspekt in „Close Knit“ nur im Subtext erzählt und Tomos Mutter ein wenig einseitig als verantwortungslose Frau gezeichnet – eine Rolle, die sie so vielleicht nicht ganz verdient hat und die nur kurz aufgelockert wird, als man sie im Altersheim im Umgang mit ihrer dementen Mutter sieht. Einer Frau, die sie und ihren Bruder Makio sehr verschieden erzogen hat und ihre Tochter mit sehr viel Härte und wenig Liebe auf die Herausforderungen eines Lebens als Hausfrau und Mutter vorbereitet hat.

Die Stärke des Films liegt definitiv in seiner ruhigen Erzählweise und der Selbstverständlichkeit, in der nicht-normative Sexualität thematisiert wird: Nämlich als etwas, das zwar noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, das aber eigentlich „normal“ ist. ‚Und was ist das schon „normal“?‘, fragt Kai seine Mutter nach dem Aufeinandertreffen mit Rinko im Supermarkt.
„Close Knit“ ist ein Film für die ganze Familie über Familie als etwas, dessen Zusammenhalt nicht von heteronormativen Konventionen, sondern durch Fürsorge und Liebe definiert werden. Dabei überzeugt vor allem auch Toma Ikuta, der in Japan eine wahre Berühmtheit ist und in zahlreichen Filmen und Serien mitspielt, als Rinko.

Auch wenn Naoko Ogigami es an manchen Stellen mit der Musik ein wenig zu gut gemeint hat und es dem Film durchaus ganz gut getan hätte, hier ein bisschen weniger dick aufzutragen, sollte man sich nicht von dem unglaublich cheesigen Trailer irritieren lassen, denn „Close Knit“ ist ein Film, der mit sehr viel Humor komplizierte Themen anspricht, ohne dabei ins Dogmatische oder die Oberflächlichkeit abzudriften.
Eingerahmt von blühenden Kirschblütenbäumen und einer gewissen Selbstironie bewahrt sich der Film eine beinahe märchenhafte Leichtigkeit, die Freude macht. Nicht ohne Grund wurde der Film bei den diesjährigen Teddy Awards der Berlinale mit dem Special Jury Award ausgezeichnet.

Tatiana Braun

„Karera ga Honki de Amu toki wa“ („Close Knit“), Regie: Naoko Ogigami, DarstellerInnen: Rinka Kakihara, Kenta Kiritani, Tomo Ikuta

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