74. Berlinale: SASQUATCH SUNSET von David Zellner und Nathan Zellner
Hairy matters
Einer der skurrileren Berlinalefilme in diesem Jahr ist SASQUATCH SUNSET (Berlinale Special) von den Brüdern David und Nathan Zellner (u.a. KUMIKO – THE TREASURE HUNTER, SMOKING GUN oder THE ART OF SELF-DEFENSE). Schon bei der Premiere beim Sundance Festival vor wenigen Wochen hatte es sehr gemischte Reaktionen auf den Film gegeben. Während die Einen das mutige, auf bizarre Weise realistische Konzept des Films würdigten, verließ unbestätigten Quellen zufolge etwa ein Drittel des Publikums noch während der Weltpremiere den Kinosaal. Eine für empfindsame Geister vielleicht nachvollziehbare Reaktion. Andererseits ist SASQUATCH SUNSET ein faszinierendes Stück Kino, das trotz hin und wieder effektvoll in Szene gesetzter Körperausscheidungen immer wieder auch Momente berauschender Schönheit offenbart. Der Rest ist sicher auch eine Frage des Humors und wieweit man bereit ist, sich auf ein solches Experiment einzulassen.
Der Film zeigt eine vierköpfige Familie in der Wildnis Nordamerikas bei ihren täglichen Verrichtungen und Überlebensstrategien. Essen, Schlafen, Kinder machen und gelegentlich eine notdürftige Behausung errichten, die gegen Wind und Wetter schützt. Allerdings handelt es sich um eine besondere Familie. Sasquatch ist die kanadische Bezeichnung für das auch in der US-Amerikanischen Folklore gern behandelte Fabelwesen Bigfoot, der gängigen Beschreibung nach ein haariger Riese – halb Mensch, halb Tier – mit überdimensionalen Füßen. Die Sasquatch können nicht sprechen und bedienen sich stattdessen eines schmalen Vokabulars aus Grunz- und Quiekgeräuschen, die mal zärtlich, mal brünftig vorgetragen werden.
Der Film beginnt mit einer Kopulationsszene des mutmaßlichen Erwachsenenpaares. Es bleibt in dieser Beziehung die Einzige, denn wann immer der Patriarch das einzige Weibchen im folgenden besteigen will, wird es von diesem, vermutlich in Ahnung einer Schwangerschaft, brüsk abgewiesen, was zu einer erheblichen Verstimmung zwischen den beiden führt. Von den beiden anderen Männchen ist der Kleinere wahrscheinlich noch ein Kind, während der Größere verträumt die Erscheinungen der Natur betrachtet. Als Mensch wäre er vielleicht ein Forscher, als Sasquatch scheitert er beim Zählen der am nächtlichen Firmament versammelten Sterne schon an der Zahl Vier.
Über lange Strecken des Films ist nicht klar, zu welcher Zeit er spielt. Lediglich kurze, die Jahreszeiten angebende Zwischentitel, geben Orientierung. Doch dann entdecken die Sasquatch eines Tages Zeichen, die für sie völlig unverständlich bleiben, für uns aber ganz klar als Spuren einer höheren Zivilisation zu lesen sind.
SASQUATCH SUNSET ist ein Film, auf den man sich einlassen muss oder wie Variety urteilte: „It must be seen to be believed“. Im besten Fall wird man dann aber mit einem originellen, quasi dokumentarischen Blick auf Natur und Wildnis belohnt. Man stelle sich die Anfangssequenz von 2001 – A SPACE ODYSSEE (1968) vor, gestreckt auf 90 Minuten. Die unter ihrem verblüffenden MakeUp nicht wiederzuerkennenden Schauspieler sind mit großem Engagement bei der Sache und dürften bei den Dreharbeiten jede Menge Spaß gehabt haben. Die Zellner Bothers haben mit SASQUATCH SUNSET einmal mehr einen Film inszeniert, der sich gängigen Konventionen und Kategorien entzieht, aber mit viel Liebe zum Detail gefilmt und mit einem betörenden Score unterlegt ist.
SASQUATCH SUNSET, Regie: David Zellner & Nathan Zellner, Darsteller_innen: Riley Keough, Jesse Eisenberg, Christophe Zajac-Denek, Nathan Zellner
Weitere Termine bei der 74. Berlinale
Sonntag, 25.02., 16:00 Uhr, HKW 1