75. Berlinale: KÖLN 75 von Ido Fluk

Go With The Flow
Das Kino hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Biografien berühmter Musiker_innen gesehen. Mit dem Bob Dylan-Biopic A COMPLETE UNKNOWN lief gerade erst ein weiteres im Berlinale Special. Auch KÖLN 75 (in derselben Sektion) erzählt über ein berühmtes musikalisches Genie und seinen größten Moment – Keith Jarrett und sein legendäres Köln Concert. Im Unterschied zu den meisten dieser doch oft allzu formelhaft inszenierten Filme konzentriert sich KÖLN 75 aber auf jene Figuren im Hintergrund, die den Karrierehöhepunkt im Zentrum der Geschichte erst ermöglichen und die im klassischen Musical-Biopic allenfalls als Randfiguren auftreten.
Vorhang auf für Vera Brandes, die über 50 Jahre eine prägende Figur der deutschen Musikszene war und diesen Umstand, wie vieles in ihrem turbulenten Leben, auch immer wieder dem Zufall zu verdanken hat bzw. ihrem guten Riecher und ihrer Fähigkeit, in der chaotischen Szene der 1970er Jahre bei sich bietender Gelegenheit beherzt zuzugreifen. So erzählt es jedenfalls dieser Film, der zum großen Teil auf Brandes’ Berichten beruht. Was davon zutrifft und was einer eher idealisierenden Erinnerung entspringt, sei dahin gestellt. Es reicht zumindest – soviel steht nach KÖLN 75 fest – für eine aufregende, vergnügliche und ausgesprochen unterhaltsame Erzählung.
Wir lernen Vera (Mala Emde) nach einem kurzen Intro, das tatsächlich Teil einer Rahmenhandlung ist, als 16jährige kennen, die mit ihrer politisch aktiven Freundin Isa (Shirin Lilly Eissa) ein Jazzkonzert in einer kleinen Kascheme besucht. Sie flirtet mit dem deutlich älteren Bandleader des Ronnie Scott Trios, der sie, beeindruckt von ihrem forschen Auftreten wie von ihrer Attraktivität, auffordert, eine Tour für ihn zu organisieren. Vera, ohnehin jazzaffin und unter ihrem spießigen Elternhaus leidend, ist für die sich öffnende Möglichkeit einer Karriere als Konzertpromoterin sofort Feuer und Flamme. In einer rasanten Raffungssequenz erleben wir ihren Aufstieg in der Szene, bis sie bei den Berliner Jazztagen den Pianisten Keith Jarrett (John Magaro) sieht, der selbst an einem Wendepunkt seiner ins Stocken geratenen Karriere steht.
Das frühere Wunderkind Jarrett hat für Miles Davis gespielt, steht nach künstlerischen Differenzen nun aber alleine auf der Bühne – ohne festes Engagement und ohne Plattenvertrag. Mit einer Reihe von Solo Improvisationen begeistert er das europäische Publikum, dem Jazz inzwischen mehr bedeutet als dem amerikanischen, das in jenen Tagen die Geburt von Punk und Disco erlebt.
Jazz sei tot – Museumsmusik – heißt es. Jedoch nicht für die Europäer – und schon gar nicht für Vera. Die will für den gefallenen Star ein Konzert organisieren. Im Kölner Opernhaus, vor 1.300 Gästen. Ein Wahnsinn, von dem Vera von allen Seiten abgeraten wird. Die 10.000,- DM, mit denen sie in Vorleistung gehen muss, will der ohnehin von seinen Kindern maßlos enttäuschte Vater nicht vorschiessen. Zahnarzt Dr. Brandes (Ulrich Tukur) denkt in Kategorien wie Pflicht und Erfolg, mit denen die junge Generation wenig anfangen kann. Und so wird aus KÖLN 75 zugleich auch das Porträt eines Epochenbruchs in der deutschen Familie und eine Emanzipationsgeschichte.
Wie Vera das Konzert schließlich doch noch organisiert bekommt, wie sie auch noch am Abend des Auftritts widrigsten Umständen trotzt (das bereitgestellte Instrument ist nicht der erwartete Bösendorfer Grand Imperial, sondern ein Stützflügel mit kaputter Pedale/der Künstler ist unwillig und leidet unter Rückenschmerzen) und die Aufnahme zum später meistverkauften Jazz-Soloalbum doch noch gelingt, erzählt das letzte Drittel des sehr temperamentvoll inszenierten Films.
Der zweite, im Tempo deutlich gedrosselte Akt aber gehört Keith Jarrett, seinem Manager Manfred Eicher (Alexander Scheer) und dem Journalisten Michael Watts (Michael Chernus), einem fiktiven Charakter, den Regisseur Ido Fluk nutzt, um dem Publikum seinen schweigsamen, verschlossenen Helden näher zu bringen. Watts führt auch durch einen kurzen Diskurs zur Geschichte des Jazz und referiert das Besondere an Jarretts Kunst. Dafür durchbricht er die vierte Wand und wendet sich direkt ans Publikum, was sonst im Film nur Vera darf.
KÖLN 75 erinnert mit seiner flotten, immer wieder das Tempo wechselnde, Haken schlagenden Inszenierung an eine Jazzimprovisation. Da er aber auch den Konventionen eines Unterhaltungsfilms folgt, entspricht er – um im Bild zu bleiben – eher einem Standard als Free Jazz. In diesem Rahmen aber bewegt er sich durchaus frei und schafft es auf diese Weise, auch ein Publikum anzusprechen, das ansonsten um die Welt des Jazz einen großen Bogen machen würde.
Eine munter aufspielende Besetzung, angeführt von einer hinreißend energiegeladenen Mala Emde, weiß ebenso zu begeistern, wie die kompetente Ausstattung, eine Kameraarbeit, die das Geschehen in zeitgemäßes Colorit taucht und ein Soundtrack, der den Fokus neben Jazz auch auf die aufregende deutsche Musiklandschaft der 1970er (Can, Neu! oder Floh de Cologne) legt. Nur das berühmte Köln Concert, dessen Zustandekommen hier ja erzählt wird, durfte aus rechtlichen Gründen nicht Bestandteil des Films werden. John Magaro (First Cow, Past Lives, September 5) fügt mit seinem sensiblen Porträt Jarretts seiner stetig wachsenden Galerie an beeindruckenden Performances eine weitere hinzu. Und Michael Watts allwissendem Erklärbär könnte man sowieso stundenlang zuhören. Unterm Strich ist KÖLN 75 der seltene Fall eines gelungenen und keinen abgeschmackten Pfaden folgenden Musikfilms.
KÖLN 75, Regie: Ido Fluk, Darsteller_innen: Mala Emde, John Magaro, Alexander Scheer, Michael Chernus, ShiriShirin Lilly Eissa, Jördis Triebel, Ulrich Tukur u.v.a.
KÖLN 75 – Termine auf der 75. Berlinale
Freitag, 21.2., 15:15 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Sonntag, 23.2., 10:00 Uhr, Uber Eats Music Hall
KÖLN 75 läuft ab 13. März im Kino..