75. Berlinale: WELCOME HOME BABY von Andreas Prochaska


WELCOME HOME BABY © Lotus Filmproduktion, Senator Film Produktion
WELCOME HOME BABY © Lotus Filmproduktion, Senator Film Produktion

Heimat, süße Heimat

Eine gestreßte Berliner Notärztin besucht mit ihrem Mann das idyllische Österreich. Judith (Julian Franz Richter) und Ryan (Reinout Scholten van Aschat) sind aber nicht zur Erholung angereist. Judith hat in einem kleinen Kaff nahe Wien ein Haus geerbt. Ihr leiblicher Vater ist gestorben. Doch Judith, die im Alter von vier Jahren weggegeben wurde, hat keinerlei Erinnerungen an ihre Eltern noch an ihre Heimat. Den Dörflern geht es da ganz anders. Jede*r, die Haushälterin, der grantige Bauer Scheichl, die Apothekerin oder die freundliche „Tante Paula“ (geradezu aufdringlich nett: die hervorragende Gerti Drassel), scheinen alles über Judith zu wissen. Vor allem sind sie sicher, dass Judith nun die ferne Großstadt hinter sich lassen, im Dorf bleiben und die Arztpraxis ihres Vaters übernehmen wird.

Das deckt sich nicht mit Judiths Plänen. Eigentlich möchte sie nur das Haus schnell verkaufen und dann den ihr unbekannten Ort verlassen. Doch wie es sich für einen guten Horrorfilm gehört, scheinen sich die Umstände gegen sie verschworen zu haben. Nicht nur wird sie permanent daran gehindert, das Dorf und die umliegenden Wälder zu verlassen. Auch ihr Verstand hat seltsame Aussetzer. Aus Tag(alb)träumen erwacht sie plötzlich knietief in einem nahe gelegenen Weiher oder im Wald. Tage und Wochen sind vergangen, ohne dass sie sich daran erinnern kann und auch nicht an die Entscheidungen, die sie in der Zwischenzeit getroffen haben soll, z.B. die Wohnung in Berlin aufzugeben. Und dann ist sie auch noch schwanger. Ungewollt, versteht sich, hat Ryan doch angeblich eine Vasektomie vornehmen lassen.

Andreas Prochaska, der vor elf Jahren mit seinem Alpenwestern DAS FINSTERE TAL einen großen Publikumserfolg feierte, bleibt auch mit seinem neuesten Werk dem Genre-Kino treu. Schon früh stellt sich der Eindruck ein, es hier mit einem Austro Remix des Polanski Klassikers ROSEMARY’S BABY (1968) zu tun zu haben. An die Stelle des satanischen Kults im Original tritt hier eine verschworene Dorfgemeinschaft, die die Neuankömmlinge zunächst mit Freundlichkeit einlullt, Widerspruch verdrängt und schließlich Judiths Ausbruchsversuch drastisch zu verhindern weiß. Unaufhaltsam scheint sich die Schlinge um Judith zusammenzuziehen, ihre Zukunft über ihren Kopf hinweg vorbestimmt – ihre Aufgabe und Funktion in der Gemeinschaft längst festgelegt zu sein. Neben der ärztlichen Versorgung der betagten Dörfler ist das die Verjüngung und die Sicherung des Fortbestandes der Gemeinschaft.

Prochaskas Film ist mit allen (Genre)Wassern gewaschen. Er weiß, die unheimliche Stimmung stets zu steigern, Schockmomente im richtigen Rhythmus zu setzen. Das Setting ist perfekt gewählt. Österreich strahlt ja immer auch diese Dualität aus Gemütlichkeit und finsteren Abgründen aus. Wiener Schnitzel und Apfelstrudel, aber eben auch Priklopil und Fritzl. Die Heimat und die Herkunft, die Eine*n nicht loslässt und der man nicht entkommen kann, sind in dieser recht unterhaltsamen Horrorgeschichte ebenso Thema, wie ein überwachender Katholizismus (auf dem Land noch stärker als in der Stadt) und eine nur mangelhaft aufgearbeitete historische Verantwortung. Besonders amüsant ist der Umstand, dass das Grauen hier nicht von einem schlaffen Patriarchat ausgeht. Die Macht im Dorf liegt klar in den Händen der Frauen, was die Sache freilich nicht besser macht.

Nicht alles ist gelungen in diesem Film. Es gibt einige lose Enden, Handlungsstränge, die sich verlieren. Genrefans sollte das aber kaum anfechten. Der Horror in den heimischen Wäldern macht mindestens soviel Spaß, wie im amerikanischen Hinterland.

WELCOME HOME BABY, Regie: Andreas Prochaska, Darsteller_innen: Julia Franz Richter, Reinout Scholten van Aschat, Gerti Drassel, Maria Hofstätter, Gerhard Liebmann u.v.a.

WELCOME HOME BABY – Termin auf der 75. Berlinale
Donnerstag, 20.2., 22:00 Uhr, Cubix 6