„Bande de filles“ („Girlhood“) von Céline Sciamma



Analog zu Dramen, die die Adoleszenzgeschichte im Sinne einer eskalierenden Gewaltspirale einer Gangsterwelt eben als Performance von Männlichkeit erzählen, erzählt „Bande de filles“ dabei von der Unmöglichkeit, eine Frau zu sein. Obgleich es zur Mädchengang-Aura gehört, die begehrenswerte Schlägerin zu verkörpern, wird Weiblichkeit nämlich im Grunde geächtet, vor allem, wenn sie sich als Schwäche oder als Entscheidungsfreiheit zu erkennen gibt – Liebesbeziehungen oder öffentliche, zärtliche Freundschaftsgesten werden rigoros abgelehnt. Dafür findet Sciamma ein drastisches Bild: Die Gewinnerin im Faustkampf reißt ihrer unterlegenen Kontrahentin das T-Shirt vom Leib; die Entblößung des weiblichen Körpers ist in dieser rabiaten Welt die endgültige und absolute Erniedrigung. Als es an Marieme ist, und sie ihrer Gegnerin nach dem errungenen Sieg den BH durchschneidet, um ihn wie einen Skalp triumphierend in die Luft zu halten, kulminiert der Selbsthass förmlich. Die weibliche Solidarität in „Bande de filles“ befindet sich ständig in Gefahr gegen den männlichen Imperativ des Wettbewerbs und der Aggression zu verlieren.

Dabei verweist „Bande de filles“ auf die engmaschige Verwobenheit von sozialem Status und Selbstentfaltung: Marieme hat nicht die Möglichkeit, eine Karriere innerhalb des Systems zu verwirklichen und rebelliert deswegen gegen die gesellschaftlich formulierten Grenzziehungen eines patriarchalen Kapitalismus oder eines kapitalistischen Patriachats. Konsequenterweise sehen wir im Film nur eine einzige Frau, die nicht wirkt, als müsse sie diesen Rollenerwartungen genügen: es ist die weiße High-Society-Gastgeberin einer Party, die von Marieme mit Pillen versorgt wird. Wie sagte Zora-Neale Hurston noch dazu? „The black woman is the mule of the world“.

Weiterlesen: Eileen Reukaufs Kritik „Das Geheimnis eines Sommers zu Céline Sciammas Berlinale-prämierten Werk „Tomboy„.

Solche Szenen destillieren die Kernthesen des Films des Öfteren. Es ist deswegen nicht zu viel des Lobes, „Bande de filles“ als ein Meisterstück in Sachen ökonomisches Erzählen zu bezeichnen, das zudem grandios bebildert ist. Auch die Kameraführung ist ein Genuss, die Bildkomposition auf den Punkt und preiswürdig. Aber natürlich trägt vor allem die schauspielerische Leistung der gesamten Mädchengang den Film, die Energie der jungen Frauen bringt „Bande de filles“ regelrecht zum Pulsieren. Die jungen Mädchen erscheinen so authentisch, dass man nicht einen Moment daran zweifelt, dass Repräsentation hier viel mit der Realität zu tun haben könnte. Vor allem Karidja Touré als Marieme und Assa Sylla als Lady verfügen über eine starke Leinwandpräsenz – es bleibt zu hoffen, dass man von ihnen noch viel hört.

Im Laufe des Films macht sich Marieme durch eine unmögliche Liebesbeziehung frei von den ewigen Anforderungen. Das hat für sie den Verlust der Familie, der Freunde und schlussendlich der Jugend zur Folge – auch wenn klar ist, dass sie die Freiheit mit ewiger Unsicherheit wird bezahlen müssen. Die Flucht als Identifikation, sie tritt wohl nirgendwo so prägnant zutage wie in dem Hotel, in dem sich die Mädchengang einmietet: Hier tanzen sie gemeinsam, unbeschwert, schön und stark und völlig frei von den Erwartungen anderer zu Rihannas „Shine bright like a diamond“. Sie sehen aus wie die Glamourgirls in einem amerikanischen Musikvideo. Nur die Diebstahlsicherung an der Kleidung erzählt eine andere Geschichte.

Marie Ketzscher

Bande de filles“ („Girlhood„), Regie: Céline Sciamma, DarstellerInnen: Karidja Touré, Assa Sylla, Lindsay Karamoh, Mariétou Touré

Termine bei der Französischen Filmwoche 2014:
Montag, 8. Dezember / 17 Uhr CineStar in der Kulturbrauerei
Dienstag, 9. Dezember / 22 Uhr CineStar in der Kulturbrauerei

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