„Berlinized – Sexy an Eis“ von Lucian Busse
Wahr gewordene Utopie
Diese Stadt. Berlin. Heute, im Jahr 2012, spricht man ihren Namen oft im Zusammenhang mit unangenehmen Worten wie Gentrifizierung aus. Prenzlauer Berg, Mitte, Kreuzberg und Neukölln – Stadtbezirke mit denen man vor allem eines verbindet: schwindender Freiraum für Kreative und Queerdenker. Prenzlauer Berg und Mitte haben dahingehend bereits vor Jahren Vollzug melden müssen. Im Prenzlauer Berg heute noch einen Club zu finden, der sich mit den Ansprüchen der umliegenden Wohnkomplexe verträgt, gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Trotzdem ist Berlin heute eine Metropole, die ansprechend ist für Menschen aus aller Welt. Und sie verspricht noch immer Freiheit, denn auch wenn die Mieten steigen und sich das Stadtklima rasant verändert, ist Leben in Berlin gemessen am gesamtdeutschen Metropolen-Durschnitt immer noch günstig. Berlin besitzt mittlerweile einen etablierten Kunstmarkt. Künstler können hier leben, anstatt nur zu überleben.
Man kann natürlich viel schimpfen. Und das zu Recht, denn es bedeutet nicht zwangsläufig, dass man sich nach den grauen Straßenzügen der ehemaligen Enklave Westberlin und den zerrütteten Altbauten Ostberlins zurücksehnt. Und dennoch – die 90er Jahre haben einen Mythos geschaffen, von dem die Hauptstadt bis heute zehrt. Einen Mythos, in dem Techno, Raves und nie enden wollenden Partys wie eine wahr gewordene Utopie wirken. Und junge Menschen und Künstler ein unbeschwertes Leben in den Ruinen der Deutschen Demokratischen Republik führten.
Lucian Busses Dokumentation führt zurück zu diesen Ruinen und Freiräumen, an Orte wie die „Galerie berlin tokyo“, die Bar „Kunst & Technik“ und Künstler wie Jim Avignon oder die Honeysuckle Company. Dabei setzt der Regisseur klassische Stilmittel des Dokumentarfilms ein und verbindet Originalmaterial aus den 90er Jahren mit aktuellen Interviews, in denen die Protagonisten seines Films ein Resümee ziehen. Einer davon ist Hannes Romberg, der Gründer der Bar „Kunst & Technik“, die sich bis zum Jahr 2000 gegenüber vom Bodemuseum befand. Heute befindet sich dort eine Strandbar. Romberg erzählt von den Partys und den unkonventionellen Umständen, unter denen die Betreiber seinerzeit arbeiteten und davon, wie der Musiker Carsten Nicolai mit einer lautstarken Performance die Rattenplage der Bar beendete. Es sind viele solcher Anekdoten, die Lucian Busse einfängt und im Gegenschnitt mit Aufnahmen aus dem Halbdunkel kombiniert, die die elektrisierende Energie dieser Jahre einfangen. Wenn aber Jim Avignon, der in den Techno-Clubs der Stadt zu einem der wichtigsten Pop-Art-Künstlern Deutschlands reifte, über seine Zeit in Berlin spricht, schwingt nur wenig Melancholie mit. Für ihn wurde die Stadt irgendwann zu einem Korsett, das ihn festlegte und ihn schließlich dazu brachte, den Wohnsitz nach New York zu verlegten. Lucian Busse fängt mit „Berlinized – Sexy an Eis“ viele solcher Positionen ein, vermeidet es aber, die Vergangenheit unnötig aufzuladen. Wenn die Kamera an den großen Baustellen Berlins, dem Potsdamer Platz und dem heutigen Hauptbahnhof, vorbei gleitet, dann zeigt sie vor allem eines: eine Stadt im Fluss.
Martin Daßinnies
http://www.youtube.com/watch?v=Nhb3GqwWmxs