„Das Meer am Morgen“ von Volker Schlöndorff


Filmszene: "Das Meer am Morgen"

Filmszene: "Das Meer am Morgen"

Eine weitere moralische Position

„Wer immer Europa-müde ist, sollte sich daran erinnern, wo wir herkommen,“ sagt Volker Schlöndorff, der nach Kriegsende in der Gegend zur Schule ging, wo am 22. Oktober 1941 der 17 Jahre alte Guy Môquet zusammen mit über zwanzig Mithäftlingen von deutschen Soldaten erschossen wurde. Guy Môquet, dieser Name wird als französisches Equivalent zu den Gebrüdern Scholl gesehen. Beide engagierten sich in jungen Jahren gegen den Nationalsozialismus. Beide warfen Flugblätter. Beide wurden zum Tode verurteilt.

Das Meer am Morgen“ ist neben Iron Sky der zweite große Nazifilm auf der diesjährigen Berlinale. Nazifilm, das verknüpfen wir automatisch mit Anspruch, Tiefgang und mit Scham. Während sich Timo Vuorensola in „Iron Sky“ mit besten Kräften und wirklichem Geschick darum bemüht, dieser Thematik nicht mehr die Ernsthaftigkeit zuzugestehen, die sie gewohnt ist, wagt Schlöndorff das genaue Gegenteil – einen seriösen Ensemblefilm. So sehen wir Ulrich Matthes als Ernst Jünger und Léo-Paul Salmain als Guy Môquet. Keine Frage, beide sind gute Schauspieler, die ihr Fach verstehen und bei einem Filmsujet, das wiegt wie Blei, natürlich ihr Bestes geben. Doch der nicht mehr ganz so junge Volker Schlöndorff möchte dem nicht mehr ganz so jungen Neuen Deutschen Film nicht nur eine weitere moralische Position abverlangen, sondern ihm wieder ein wenig Mark in die Knochen blasen. Wie stets, sind die Dialoge auch dieses Mal auf ein humanistisches, bildungsbürgerliches Fundament gesetzt und auch dieses Mal bleibt er seiner Linie treu: „Jemand rebelliert und scheitert dabei. Seine Stärke und Schönheit liegt in der Aufhellung: Das ist der Moment, in dem er lebt, was wichtiger ist als das Ergebnis. Das Scheitern ist uns Deutschen seit den Bauernkriegen und fehlgeschlagenen bürgerlichen Revolutionen Erfahrung.“

Seine Filme sind Geschichten des schönen, ästhetisierten Scheiterns. Vielleicht inspirierte ihn gerade deshalb  Ernst Jüngers „Zur Geiselfrage“, in der Jünger nicht nur das Verhältnis der Franzosen zu der deutschen Okkupationsregierung festhält, sondern  auch Abschiedsbriefe zum Tode verurteilter Geiseln beifügt. Der Medienwissenschaftler Manfred Schneider sterotypisiert den Attentäter als  jemanden, der eine Szene betritt „die fertig arrangiert ist, er spielt eine Rolle, die von seinen Vorgängern geschrieben wurde, er trifft ein Opfer, das längst mit ihm gerechnet hat. „So ist es kein Wunder, dass auch in dieser Schlöndorff-Produktion die Mime zu einer Art körperlichen Anhängsel degeniert, die geschliffenes Literatendeutsch sprechen muss, damit sie überhaupt eine Berührung mit ihrer Umwelt erzielt. Das passt, wenn es um Söhne, Liebhaber,Künstler und Irre geht. Da redet man auch im wirklichen Leben vor sich selber her. Was den Rest der Welt, besonders der politischen, anbelangt, kann es gefährlich werden, den Worten zu viel Macht zu geben. Seien wir doch froh, dass die Nazis entgültig und für immer daraus verbannt worden sind.

Joris J.

Berlinale-Termine: Mi 15.02., 10.30 Uhr, CinemaxX 7; Do 16.02., 17 Uhr, Cubix 9, Sa 18.02., 17 Uhr, International