DIE VERGESSLICHKEIT DER EICHHÖRNCHEN von Nadine Heinze und Marc Dietschreit


In DIE VERGESSLICHKEIT DER EICHHÖRNCHEN nimmt das Regieduo Nadine Heinze und Marc Dietschreit das wichtige Thema der häuslichen Pflege und Rundumbetreuung, die häufig Pflegekräfte aus Osteuropa übernehmen, auf tragikomische Weise in den Blick. Heinze und Dietschreit kamen durch einen Bekannten, der sich entschied, eine 24-Stunden-Pflegekraft für seine Eltern einzustellen, auf die Idee zum Film. Dabei war es beiden wichtig, das Thema nicht als Drama und „Betroffenheitsfilm“ zu erzählen, sondern die Balance zwischen Tragik und Komik zu halten, was ihnen gut gelingt.

Heinze und Dietschreit überzeichnen etwa Curts Kinder und lassen Anna Stieblich als Almut und Fabian Hinrichs als Philipp die Geschwister sehr überspitzt darstellen, was dem Film einen großen Teil seiner Komik verleiht. So ist Philipp mit seinem Porsche und seiner festen Überzeugung, für Geld alles und alle kaufen zu können, die Karikatur eines Narzissten. Seine Schwester Almut bildet dagegen mit ihrer herablassenden, respektlosen Art Marija, aber auch ihrem Vater gegenüber das Extrembeispiel einer Angehörigen ab, die ihren kranken Vater für möglichst wenig Geld von einer Osteuropäerin betreuen lässt – und die glaubt, sich der Pflegekraft gegenüber alles herausnehmen zu dürfen.

Der Fokus des Films liegt jedoch auf der Beziehung zwischen der mitfühlenden Marija und dem Senioren Curt, der aufblüht, sobald Marija sich auf seine Wahrnehmung einlässt und sogar so weit geht, seine verstorbene Frau Marianne zu spielen. Im mittleren Teil des Films, in dem dieses von Dietschreit als „Zeitreise“ bezeichnete, geradezu märchenhafte, Spiel im Spiel abläuft, findet nicht nur in Bezug auf Curts Verhalten, sondern auch äußerlich eine Öffnung statt.

Statt wie vorher im dunklen Wohnzimmer im Pflegebett vor sich hin zu vegetieren und das Haus nicht zu verlassen, bekommt Curt plötzlich neue Lebenskraft und Energie. Auch das Haus, laut Regieduo ein weiterer Hauptdarsteller des Films, verändert sich, wirkt heller und einladender. Durch das hervorragende Szenen- und Kostümbild machen besonders die Szenen Spaß, in denen Curt und Marija alias Marianne in farbenfroher Kleidung im Retro-Stil am Pool im Garten liegen oder mit Curts altem Mercedes einen Ausflug in ein Café auf dem Land unternehmen.

Auch wenn DIE VERGESSLICHKEIT DER EICHHÖRNCHEN gegen Ende immer mehr ins Groteske abdriftet, schaffen Heinze und Dietschreit es, bis zum Schluss weder die Figur des an Demenz erkrankten Curt noch die der sympathischen Ukrainerin Marija der Lächerlichkeit preiszugeben. In DIE VERGESSLICHKEIT DER EICHHÖRNCHEN liefern sie den Anstoß zu nötigen Diskussionen, etwa um die gerechtere Bezahlung von Pflegekräften oder den Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen. Dem Regieduo ist ein sehenswerter und berührender Film gelungen, der wegen seiner vielen skurril-komischen Momente, des überzeugenden Schauspielensembles und des gelungenen Szenenbilds auf humorvolle, spannende und visuell ansprechende Art relevante Fragen aufwirft.

Stefanie Borowsky

DIE VERGESSLICHKEIT DER EICHHÖRNCHEN war beim 32. Max-Ophüls-Preis zu sehen.
Regie: Nadine Heinze, Marc Dietschreit. Darsteller:innen: Emilia Schüle, Günther Maria Halmer, Anna Stieblich, Fabian Hinrichs, Masha Tokareva, Hede Beck

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