„Die Vermissten“ von Jan Speckenbach
Zombies? Schön wär’s.
Als der Mittfünfziger Lothar von seiner Ex-Frau benachrichtigt wird, dass ihre gemeinsame Tochter verschwunden ist, macht er sich auf die Suche. Diese Suche nach seiner verlorenen Tochter wird zur Suche nach seiner eigenen Identität und zu einer Konfrontation mit seiner Vergangenheit – schon gelangweilt? Dann ist man mittendrin in dem Plot von Jan Speckenbachs „Die Vermissten„. Ein Film, der ganz viel Haneke will und dabei leider wenig bis nichts erzählt. Die Eckdaten: Lothar, mit überspielter Sensibilität und nerviger Labilität von André M. Hennicke verkörpert, der von heute auf morgen wieder bei seiner knöchernen und nervösen Ex-Frau einzieht, macht sich auf die Suche nach seiner 14-Jährigen Tochter Martha.
Der Film lässt sich hierbei viel Zeit und verharrt in langen Einstellungen auf Lothar. Wie er im Auto sitzt. Wie er am Fenster steht. Wie er im Bett liegt und nachdenkt. Bemüht man den Vergleich mit Michael Hanekes „Caché„, wird dem Zuschauer schnell klar: Hier stimmt was nicht, hier kommt noch was, das wird noch richtig übel. Wird es aber nicht. Stattdessen quält sich Lothar im strömenden Regen durch die endlosen Weiten deutscher Landschaften, um seine Tochter zu suchen und über seine gescheiterte Beziehung zu der Mutter seines Kindes nachzudenken. Könnte poetisch sein oder vielleicht auch das viel gerühmte „nichts erzählen“ der Berliner Schule, wenn da nicht die „Ratten der Lüfte“ wären. Ein peinlicher TKKG-Einfall, der eine an Häuserwänden gezeichnete Ratte mit Flügeln zeigt und die irgendwas mit den immer häufiger verschwindenden Kindern zu tun haben soll.
Lothar befragt Marthas Umfeld, die Kinder wirken verschlossen bis teilnahmslos. Vielleicht Zombies? Schön wär’s. Stattdessen trifft Lothar eines der Mädchen, die scheinbar mehr über das Verschwinden der anderen weiß, und teilt sich ein Hotelzimmer mit ihr. Das ruft dann zwar eine ebenfalls nach ihrem Kind suchende Mutter auf den Plan, das war’s dann aber auch schon. Was genau die Kinder antreibt, die sich langsam aus dem Staub machen, bleibt im Ungewissen. Einmal sitzen Lothar und eine Gruppe von Jugendlichen zusammen im Auto: „Alle ab Sechzig töten“, sagt da einer der Jungs. Wieder so eine aufkeimende Hoffnung. Aber auch diese verläuft im Sand. Stattdessen flippt Lothar am nächsten Morgen richtig aus, als er merkt, dass sein Wagen festgefahren ist. Wie Hennicke da theatralisch die Fäuste ballt und herum springt, als wäre er aus Versehen in einer Stummfilm-Komödie gelandet, tötet jeden aufkommenden Nervenkitzel oder die Beunruhigung, die sich eben noch ob des kühl vorgetragenen Vorschlags zur Lösung des Bevölkerungsproblems breit gemacht hatte.
Nun ist es ja generell nicht falsch, den Zuschauer lange Zeit im Ungewissen zu lassen, ihn in verschiedene Richtungen zu locken, ihn mit seinen eigenen Genre-Erwartungen zu konfrontieren. Nur, wenn am Ende gar nichts passiert, der Zuschauer entlassen wird, mit toten Fährten aus Film-Zitaten und einer Horde melancholisch dreinblickender Kinder, dann ist das unbefriedigend, ja sogar ärgerlich. Verstörung durch wenig Aktionen erzeugen, sieht anders aus. Siehe Haneke.
Cosima M. Grohmann
„Die Vermissten“ Regie: Jan Speckenbach, Drehbuch: Melanie Rohde, Jan Speckenbach, Darsteller: André M. Hennicke, Sylvana Krappatsch, Jenny Schily, Sandra Borgmann, Luzie Ahrens