MUTTER von Carolin Schmitz


MUTTER © Tom Trambow, mindjazz pictures

Mutter. Wir alle haben eine bestimmte Vorstellung davon, was dieser Begriff bedeutet. In Carolin Schmitz neuestem Film MUTTER erzählen acht Frauen zwischen 30 und 75 von ihrem Muttersein. Zu sehen ist allerdings nur Anke Engelke wie sie ihren Alltag bestreitet und dabei lippensynchron zu den Sprechenden agiert. So lotet Schmitz die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion aus.

Das Publikum sieht Anke Engelke beim Baden, Anziehen, Wäschewaschen, Textlernen und so weiter. Am Ende steht sie als Schauspielerin auf der Bühne. Die ganze Zeit „spricht sie“ immer wieder vor sich hin. Zu hören sind dabei die unterschiedlichen Stimmen der acht Frauen, die Carolin Schmitz interviewt hat.

Die von diesen Frauen beschriebenen Situationen sind sehr spezifisch. Es gibt wenige allgemeingültige Aussagen, es sind viel mehr Einzelschicksale. Durch die Inszenierung wird eine Distanz zu dem Erzählten geschaffen. Engelke spielt wunderbar natürlich, wenn aber die Erzählenden und ihre direkte Emotion in diesem Moment nicht zu sehen sind, fällt es schwer mitzufühlen. Klar, das Gesagte soll dadurch allgemeingültiger werden, losgelöst vom äußeren Bild der Erzählenden, das andernfalls unerwünschte Assoziationen und Vorurteile wecken könnte. Die Geschichten verschwimmen, man kann sie schwerer auseinander halten. Leider geht dabei mehr verloren, als gewonnen wird.

Auch das Setting erklärt sich mir nicht. Es wirkt, als lebte die von Engelke verkörperte Figur alleine in einem viel zu großen Haus. Nirgends sieht man die Spuren von Kindern. Sie stolpert nicht über Spielzeug, es sind keine Familienfotos zu sehen, keine bunten von Kindern gemalte oder gebastelte Kunstwerke. Die ganze Szenerie strahlt eine kühle Ruhe aus, die sich die meisten Mütter in ihrem Alltag sehnlichst wünschen. Vielleicht ist das auch das Ziel der Inszenierung, der Sinn dahinter hat sich mir leider nicht erschlossen. Es kann sein, dass es daran liegt, dass ich mir, als junge Mutter, erhofft hatte mehr von den Dingen zu hören, die ich selbst grade erlebe. In meiner Erfahrung geht es beim Muttersein um die Ambivalenz zwischen den Momenten, in denen man völlig verzweifelt und ständig überfordert ist, und denen der Freude und Erfüllung, die man mit anderen Mitteln nur schwer erreichen kann. Es gibt auch den ein oder anderen Moment, in dem von solchen Dingen die Rede ist. Dennoch scheint es mir viel mehr um die durch die Kinder veränderte Beziehung zum Partner bzw. den Wegfall bestimmter Freiheiten zu gehen. Natürlich ist das auch ein Aspekt des Mutterseins. Aber durch den starken Fokus darauf, bleibt ein recht negatives Bild vom Muttersein zurück. Der Film suggeriert, dass Muttersein höchstens als Alleinerziehende wünschenswert sei, denn die einzige Frau, die entspannt und gelassen wirkt, erzieht ihr Kind geplant von Anfang an alleine. Das klassische Konzept vom Traummann, mit dem man Kinder bekommt, wird hinterfragt. An und für sich ist das nichts Verwerfliches, solche Traumvorstellungen sollten immer wieder hinterfragt werden. Aber es gäbe auch genügend andere Modelle, die man hätte Vorstellen können. So bleibt der Titel allerdings irreführend. Mutter ist eben auch ein sehr weiter Begriff. Er beginnt damit, dass wir selbst alle eine Mutter haben, geht über Planung, Geburt, über die Veränderung des Körpers und des eigenen Lebens, dann über die stetige Entwicklung des Kindes bis hin zur Loslösung des Kindes vom Elternhaus. Man könnte sich auch damit auseinandersetzen, dass das Thema Kinderkriegen heutzutage stark diskutiert wird, da die Weltbevölkerung stetig wächst und die Ressourcen immer knapper werden. Eine ganze Serie wäre denkbar, in der in jeder Folge ein anderer Aspekt beleuchtet wird. Aufgrund dieser Fülle hätte ich mir bei diesem großen Thema mehr Vielfalt erhofft.

Muttersein ist eine sehr individuelle Erfahrung, die das Leben stark beeinflusst und verändert. Die Ruhe und die Möglichkeit komplett frei Entscheidungen zu treffen fällt weg. Das erzählen die sprechenden Frauen über ihre persönlichen Geschichten. Trotzdem versuchen viele ein noch immer vorherrschendes Ideal zu erfüllen, das oft völlig an der Realität vorbei geht.

Am Ende des Films steht Angke Engelke auf einer Theaterbühne und „spricht“ dort die letzten Sätze. Vermutlich soll die Überhöhung auf der Bühne ein Mutterbild symbolisieren, das immer noch in vielen Köpfen vorherrscht. Die Darstellung dieses Bildes bleibt allerdings einseitig und negativ.

„Mutter“, Regie: Carolin Schmitz, Darsteller*in: Anke Engelke

Kinostart: 29. September 2022