„Nymphomaniac: Vol. II“ von Lars von Trier


Bewährtes Szenario: Joe (Charlotte Gainsbourg) erzählt Seligman (Stellan Skarsgård) ihre Geschichte. © Christian Geisnaes / Concorde Filmverleih 2014

Bewährtes Szenario: Joe (Charlotte Gainsbourg) erzählt Seligman (Stellan Skarsgård) ihre Geschichte. © Christian Geisnaes / Concorde Filmverleih 2014

Überschreitung des Extremen

I always wanted more from the sunset„, hatte Joe noch im ersten Teil von „Nymphomaniac“ zu Seligman gesagt. Ein Mehr von etwas, das eigentlich genug ist. Vielleicht sogar schon zu viel, denn irgendwann tritt die Übersättigung ein. Etwas Neues, Anderes, Größeres, das den Kick zurückbringt und die Ekstase wieder spürbar werden lässt, muss her. Der gewohnte Rausch ebbt ab, während die Sucht einen neuen Zenit einfordert. Das ist der Moment, in dem der Schmerz als Grenzerfahrung der Empfindungen zum neuen Verbündeten wird. Das Schöne muss weh tun.

In „Nymphomaniac Vol. II“ setzt sich die Unterhaltung zwischen Joe und Seligman ähnlich dem ersten Teil fort und doch hat sich etwas geändert: In den Rückblenden ist Joe inzwischen erwachsen geworden und hat sich mit Jerôme und ihrem gemeinsamen Baby eine kleine Familie geschaffen. Doch Joe gelingt es nicht, ihre Nymphomanie für ihre Verantwortung als Mutter zu unterdrücken. Ihr Hunger ist so unstillbar, dass auch Jerôme ihm nicht mehr gerecht werden kann. Aus Liebe zu Joe erlaubt er ihr, sich anderswo sexuelle Befriedigung zu verschaffen, selbst wenn ihn das seinen männlichen Stolz kostet. Innerlich wie äußerlich betäubt von unzähligen Liebhabern und gelangweilt, frustriert und angeödet von sexueller Normativität sucht sie nach neuen Wegen, um sich von ihrer Triebkraft nach dem absoluten Mehr vollends ausfüllen zu lassen.

Weiterlesen: Unsere Kritik zu “Nymphomaniac Vol. I” von Lars von Trier.

Schon im ersten Teil von Triers Studie einer libidinös getriebenen Frau schien es merkwürdig, dass Seligman trotz der plastischen Beschreibungen von Joes Eskapaden zwar einen empathischen Zuhörer abgab, sich bei seinen Reaktionen aber stoisch im Nullbereich der eigenen Erregungskurve bewegte. Ein anderer als er hätte vermutlich zumindest versucht, heimlich gegen die unter den gekreuzten Beinen versteckte Semierektion anzukämpfen. Seligman ist kein normaler Mann, sondern eine in die Jahre gekommene Jungfrau, für die der Sonnenuntergang wohl immer unerreichbar bleiben wird. Er ist das absolute Gegenstück zu Joe in einer Konfrontation von Hypersexualität und Asexualität. Der perfekte Zuhörer, der weder zu Verurteilungen imstande ist, noch durch Analogien zu seinen eigenen sexuellen Erfahrungen an Objektivität verlieren könnte.

1 2