„Nymphomaniac: Vol. II“ von Lars von Trier


Die junge Joe (Stacy Martin) und ihr Liebhaber Jerôme (Shia LaBeouf) lassen sich von einem ahnungslosen Kellner (Udo Kier) bediene...  © Christian Geisnaes / Concorde Filmverleih 2014

Die junge Joe (Stacy Martin) und ihr Liebhaber Jerôme (Shia LaBeouf) lassen sich von einem ahnungslosen Kellner (Udo Kier) bediene… © Christian Geisnaes / Concorde Filmverleih 2014

Und so hört er weiter aufmerksam, verständnisvoll aber jenseits der Gürtellinie scheinbar absolut ungerührt zu, während Joe in Rückblenden auf öffentlichen Toiletten masturbiert oder sich professionell fesseln und auspeitschen lässt. Joe bleibt zwar als autobiografische Erzählerin die treibende Kraft hinter dem masochistisch-unbarmherzigen Affektstrom, doch Seligmans Blick auf das Erinnerte zerstreut, entwertet und reinterpretiert das Schockpotenzial in der Verknüpfung von Lust und Schmerz. Wir sehen Joes Erlebnisse mit seinen Augen. Die Revirginisierung des pornografischen Bildes.

Joe betrachtet sich nicht als Sexsüchtige, sondern als Nymphomanin. Was bei anderen Betroffenen scheinbar nur die Kompensation einer banalen, unspezifischen Unersättlichkeit markiert, ist in ihrem Fall die zwanghafte Umstülpung des eigenen Inneren nach außen – blank, wund und geschunden wie ihr Hintern, der bereits durch unzählige Peitschenhiebe malträtiert wurde. In den Augen der Gesellschaft ist diese feine Differenz irrelevant. Wer die Konformität zugunsten seines Lustprinzips aufgibt, lebt in Einsamkeit. Der Zeigefinger, den „Nymphomaniac“ seinen Betrachtern zurückwirft, zielt damit auch auf die Hinterfragung moralischer Wertmaßstäbe, die den Einzeln nicht nur limitieren, sondern auch – ähnlich sadomasochistischer Praktiken – züchtigen. Die Lustbarkeit speist nicht umsonst meist aus dem Verbotenen.

Ein wenig bedauerlich bleibt dabei, dass Trier es scheinbar für nötig befindet, den gesellschafts- und sexualphilosophischen Mehrwert seines Films mit einer etwas angestaubten feministischen Botschaft zu unterfüttern, um „Nymphomaniac“ schlussendlich als das Werk eines ambitionierten Philogynisten kenntlich zu machen. Entgangen ist ihm dabei zumindest nicht, dass Nymphomanie nicht dem willkürlichen Trieb, sondern der zielgerichteten, subjektiven Wahl seiner Objekte unterliegt. Das Ende von „Nymphomaniac“ kommt daher schnell, überraschend und tut auch ein bisschen weh. Wo der Lustschmerz aufhört, tritt der Weltschmerz ein.

Alina Impe

Nymphomaniac: Vol. II„, Regie: Lars von Trier, Darsteller: Charlotte Gainsbourg, Uma Thurman, Stellan Skarsgård, Willem Dafoe, Jamie Bell, Connie Nielsen, Jean-Marc Barr, Shia LaBeouf, Michael Pas, Stacy Martin, Mia Goth, Ananya Berg, Kinostart: 2. April 2014, DVD-Start: 20. November 2014

Hier weitere Eindrücke vom Film…

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