„Revivre“ („Hwajang“) von Kwon-taek Im
„Revivre“ ist auf formaler Ebene besonders auffällig. Die Handlungsstränge sind verworren, der Film springt immer wieder von der Gegenwart in die Vergangenheit, von einer Szenerie zur anderen. So ist die erste Sequenz eigentlich die, die inhaltlich zuletzt kommen sollte, nämlich die Beerdigung von Ohs Frau. Es handelt sich dabei allerdings um einen Tagtraum von Herrn Oh, bei dem sich die junge Eun-joo mit rotem, wallenden Kleid von der sonst in schwarz gekleideten Trauergemeinschaft heraushebt. Diese Fantasie ist ein Symbol für die Gefühle der beiden Figuren füreinander, ein Sinnbild für die Lust, die sie empfinden, aber unterdrücken.
Der Krankengeschichte von Ohs Frau ist durch die vielen Rückblenden nicht ganz einfach zu folgen, einmal ist sie noch mobil und das Ehepaar macht einen Ausflug aufs Land, in der nächsten Szene findet ihre Trauerfeier statt und später liegt sie wieder apathisch im Krankenbett. Durch den Einsatz dieser unruhigen Erzählweise könnten die Autoren (Drehbuch von Yoon-hee Song) einen möglichen Verlauf einer Krebserkrankung, bei der sich Besserung und Verschlechterung des gesundheitlichen Zustands vielfach abwechseln und die Betroffenen zwischen Ohnmacht und neuer Hoffnung schwanken lassen, thematisiert haben wollen. Genauso verbildlichen die Zeitsprünge die emotionale Verwirrung des Protagonisten, der zwischen Arbeit, Ehefrau und der Möglichkeit einer neuen Liebe hin und her gerissen ist. Dank diesem Gestaltungselement ist es im Film nicht notwendig, die Gefühle der Figuren explizit auszudrücken, zumal die Dialoge auf ein Minimum reduziert sind.
Ims Film hat verschiedene symbolische Ebenen. Selbst der Titel „Revivre“ oder „Hwajang„, das auf koreanisch einerseits als „Kremation“, andererseits als „Wiedergeburt“, wie die französische Entsprechung, gelesen werden kann, legt sich wie ein Leitmotiv über die Handlung. Eine neue Liebe kann als emotionale Wiedergeburt gedeutet werden. Herr Oh hat die Gelegenheit dazu, er ergreift sie aber nicht. Trotzdem erlebt er nach dem Tod seiner Frau eine Art Neuanfang. Im Buddhismus endet das menschliche Dasein nicht mit dem Tod, in neuer Form wird der Mensch wiedergeboren und lebt weiter. Dies glaubt Ohs Ehefrau aber nicht. Tot sei tot, sie bereitet alles vor, damit nach ihrem Ableben ihre ganzen Sachen aus der gemeinsamen Wohnung verschwinden. Der klare Schnitt sei die einzige sinnvolle Art, mit der Situation umzugehen, drängt sie ihrem Mann auf. Das Thema Abschied steht in „Revivre“ im Vordergrund. Nach seiner Ehefrau verlässt auch Eun-joo Ohs Leben. Hier hält sich Oh an die Regel, ein harter Schnitt sei die beste Lösung, und möchte die junge Frau vor ihrer Abreise demgemäß nicht mehr sehen; dies lässt sich entweder als Selbstschutz oder als Rücksichtnahme deuten.
Kwon-taek Im (Jahrgang 1934) ist in Südkorea ein geschätzter Regisseur, den eine neue Generation von Filmschaffenden für sich als Vorbild zitiert. Seine Filmografie zählt nun mit „Revivre“ den 102. Titel und geht bis auf die 1970er Jahre zurück. Ims Filme gehören verschiedenen Gattungen an wie Kriegsfilm, Kriminalfilm, Melodrama oder Historienverfilmung an und waren lange Zeit von einer ausgesprochen marktgängigen Ausrichtung geprägt. Internationale Aufmerksamkeit erregte Im mit dem in Korea bis dahin erfolgreichsten Film „Seopyeonije“ („Sopjonye – Die blinde Sängerin„) von 1993. „Taebek sanmaek“ („Das Taebaek-Gebirge„) war 1995 im Wettbewerb der Berlinale und „Chunhyang“ („Das Lied der treuen Chunhyang„) 2000 der erste in Cannes gezeigte südkoreanische Film. Es handelt sich bei den erwähnten Filmen um die Verarbeitung von Stoffen, die von der Geschichte und den Traditionen Koreas erzählen, wobei Im auf eine konventionelle, elegische Erzählstruktur zurückgreift und das Umfeld sorgfältig rekonstruiert.
In den letzten zehn Jahren hat sich Im zu einem ernstzunehmenden Filmautor gewandelt und sich auf Stoffe konzentriert, die eine kritische Betrachtung des Modernisierungsprozesses der koreanischen Kultur und Gesellschaft zum Gegenstand haben. Die Themen Liebe und Verhältnis zu den Traditionen stehen dabei weiterhin im Vordergrund seiner Erzählungen. „Cheonnyeon-hak“ („Beyond The Years„, 2007) und in „Hanji“ (2011), seine letzten Filme vor „Revivre„, setzen sich mit dem traditionellen Männergesang Pansori beziehungsweise mit der alten Papierschöpfkunst Hanji auseinander.
Auf das filmische Mittel der Rückblenden greift Im schon vor „Revivre“ zurück, doch ist es im vorliegenden Film erstmals als wesentliches Element der formalen und inhaltlichen Gestaltung eingesetzt. Mit „Revivre“ hat Im einen außergewöhnlichen, seinen bisher modernsten, Film geschaffen, geprägt von poetischer Stimmung und einer unterschwelligen Emotionalität, die aber dank einer distanzierten, fast sachlich wirkenden Kameraführung kühl erzählt wird.
Teresa Vena
„Revivre“ („Hwajang„), Regie: Kwon-taek Im, Darsteller: Sung-ki Ahn, Qyu-ri Kim, Ho-jung Kim, ohne bisherigen Kinostart in Deutschland, Deutschlandpremiere auf der „Woche der Kritik“ 2015, mehr dazu hier.