RICKERL – MUSIK IS HÖCHSTENS A HOBBY von Adrian Goiginger


RICKERL © Giganten Film, Pandora Film
RICKERL © Giganten Film, Pandora Film

Llewyn Davis goes Beisl-Wien

G’stopftes Schwammerl! Spätestens als Rickerl (Voodoo Jürgens) den neuen Freund seiner Ex Viki (Agnes Haussmann) mit dieser herrlichen österreichischen Beschimpfung als nicht-ernst-zu-nehmenden Schnösel abstempelt, ist das Fandom besiegelt. So bissig, oag fertig, aber charmant ist schließlich dieser ganze Rickerl, der erfolglose und titelgebende Musiker, dem Adrian Goiginger fast schon ein fiktives Biopic gewidmet hat und nun auch in den deutschen Kinos zu sehen ist.

Wir sind schön dicht dran, wenn Rickerl in seinen Lieblingsbeisl versumpft, sich mit der Arbeitsvermittlerin über den nächsten Scheißjob streitet, wenn er Lieder schreibt oder auf Hochzeiten singt. Es ist ein ewiges Stagnieren, no road to fame. Aber vor allem sind wir nah dran, wenn Rickerl alle zwei Wochen seinen Sohn (Ben Winkler) sehen darf, trotz Mittellosigkeit Freizeitprogramme improvisiert, die fast immer in verrauschten Spelunken enden. Goiginger inszeniert dabei das Milieu mit viel autobiografisch inspiriertem Gespür, das vor allem in Castingfragen immer sitzt – die Beisl-Gänger*innen sind zum Teil echte Beisl-Stammgäste, die Frau im Sexshop die Kneipenbesitzerin von nebendran. Das ist bei aller Tragik der Lebenswelten vor allem: unglaublich lustig, und oft sehr anrührend.

Es wundert nicht, dass der Film mit Voodoo Jürgens im Ohr und Hinterkopf Goigingers entstanden ist. Kein anderer österreichischer Musiker widmet sich so poetisch und doch roh den prekären Lebensbedingungen, von ärmlichen Kindheitserinnerungen bis zur Obdachlosigkeit, die weder romantisiert noch ausgestellt wird. Ein Liedererzähler, bei dem das Anekdotische oft deklamierend ausgerufen statt gesungen klingt. Einer, der vom Über- und Weiterleben erzählt, das bei aller Härte auch schön sein kann, wie es zum Beispiel „Tulln“ zeigt: „Jo Vüle san ogstiazt, owa uns hods ned troffn. Sunst darad ma heid ned do sitzn und singa“ („Viele sind abgestürzt, aber uns hat es nicht getroffen. Sonst würden wir heute nicht hier sitzen und singen“). Jürgens spielt Rickerl – der vielleicht ja doch eine Art erfolgloses Alter Ego sein könnte – über weite Strecken des Films famos, abgetragene Kleidung, dreckige Fingernägel und fettige Haartolle inklusive. Besonders überzeugend verkörpert er die Zerrissenheit des Underground-Künstlers: Dazugehören und berühmt sein wollen (auch weil er durchaus von seinem eigenen Talent überzeugt ist), aber gleichzeitig auch Konventionen und Konformsein rundheraus ablehnen. Und Networking gleich so richtig scheiße finden. Darin erinnert RICKERL auch ein bisschen an INSIDE LLEWYN DAVIS.

Die schönsten Seiten offenbart RICKERL aber dann, wenn es gar nicht direkt um die künstlerische Nicht-Karriere geht, sondern um Rickerls Verhältnis zu seiner Ex und seinem Sohn. Viki alias Agnes Haussmann ist eine unglaublich tolle Neuentdeckung, die die verschiedenen Seiten dieser Exfreundin, die für ihren Sohn ein bessere Leben möchte, aber der alten Beisl-Welt und auch dem Rickel mehr als im Geiste verbunden bleibt, nuanciert auf die Leinwand bringt. Auch Ben Winkler als sechsjähriger Dominik ist brilliant – ganz gleich, ob er rotzfrech, trotzig, verletzt, übermütig ist. Sogar musikalisch kann er ein bisschen mit dem „Vater“ mithalten.

Dass sich die Präsenz seines Casts so entfaltet, ist ein riesiges Verdienst von Goiginger. Der überspringende Charme-Funken trägt den Film auch über seine zum Teil etwas abgegriffene Storyline, die etwas uninspiriert dahinmäandert, oder dramaturgische Schnitzer wie einer etwas zu verklärenden Parkbank-Szene mit dem obdachlosen Winni (?). Diesem RICKERL schaut und hört man einfach gern zu beim Hackeln und Durch-das-Leben-Mühen und will ihn weiter so unsagbar lustig auf die Welt schimpfen hören. Und danach sehnt man sich nach dem Spritzer.