„Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien“ von Bettina Böhler


Danach widmete er sein Schaffen dem Theater und den politischen Aktionen. Seine Theaterstücke inszenierte er im gleichen Stil wie seine Filme. Auch dies ist anhand von Originalaufnahmen erstklassig dokumentiert. Der Film schafft es immer, wieder zu zeigen, wie er tickte und wie er es schaffte, mit seinen Aktionen die Leute zu provozieren und ihnen einen Spiegel vorzuhalten. Dies auch im wahrsten Sinne des Wortes. Als er in Wien bei seiner Containeraktion „Bitte liebt Österreich“ Leute aufforderte, Asylanten durch einen Schlitz zu beobachten, um sie dann abzuschieben, blickte man auf einen Spiegel und somit auf sich selbst. Auch wenn einige seiner Aktionen hart an der Grenze waren („Tötet Helmut Kohl„) schaffte er es immer, zum Denken anzuregen.

Als er 2004 für die Bayreuther Richard -Wagner-Festspiele den Parsifal inszenierte war dies eine Bestätigung für ihn, auch in der offiziellen Kunst angekommen zu sein. Denn bei allem kritischen Denken und der Lust zur Provokation, die er ja offiziell nie so genannt haben wollte, wollte er auch Erfolg haben und persönlich gemocht werden. Er liebte seine Eltern, und hoffte durch Bayreuth, ihre wirkliche Anerkennung zu finden. Obwohl sie ihn durchaus immer unterstützt hatten. Aber er spürte, dass es keine wirkliche Zufriedenheit gab. In einen Interviewausschnitt zu Bayreuth überlegt er, eine Hasenverwesung im Bild nicht in voller Länge zu zeigen, um das Publikum nicht zu verärgern. Trotzdem wurde er nach einem Jahr dort nicht weiterbeschäftigt. 1998 gründete er sogar die „Partei der letzten Chance“, und versuchte, in den Bundestag gewählt zu werden.

Als er 2008 Krebs bekam wurde er zunehmend ruhiger und nachdenklicher, inszenierte aber trotzdem drei Stücke, die sich mit seiner eigenen Krebserkrankung beschäftigen. Sein letztes begonnenes Projekt, das „Operndorf Afrika“ konnte er nicht mehr selbst vollenden, da er am 21. August 2010 verstarb.

Wenn der Film eines zeigt, dann ist es die Tatsache, wie einzigartig Christoph Schlingensief im deutschen Kulturbetrieb war und das niemand seit seinem Tod diese Lücke schließen konnte. Was sein Talent beweist, aber trotzdem schade ist.

Harald Ringel

Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien„, Regie: Bettina Böhler, Darsteller: Christoph Schlingensief, Margit Carstensen, Irm Hermann, Alfred Edel, Tilda Swinton, Udo Kier, Sophie Rois u.v.a., Kinostart: 20. August 2020

Artikel ursprünglich veröffentlicht auf https://j-mag.ch

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